Die große Frage – Wo lernt man Wissenschaftskommunikation?

Posted on 21. Juni 2012

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Ein Weg voller Fragen – der Weg in die Wissenschafrtskommunikation. Bild: Gerd Altmann/pixelio.de

Vor kurzem erreichte mich die E-Mail einer jungen Kollegin, die es mit Wissenschaftskommunikation ernst meint. Mit ihrer Erlaubnis veröffentliche ich hier unseren Mail-Dialog – auf verständlichen Wunsch anonymisiert – denn ich glaube, diese Frage stellen sich viele.

Vertrauliches für viele Ohren

 Es schrieb Cornelia XYXY:

Seit mehreren Wochen schreibe ich an einem Blog, in dem sich die Kommunikation von Wissenschaft als ein für mich sehr interessanter Schwerpunkt herauskristallisiert.

Derzeit arbeite ich noch als Wissenschaftlerin an einer Hochschule, möchte mich aber in Zukunft gerne mehr in der Wissenschaftskommunkation engagieren und in diesem Bereich auch arbeiten. Da ich bislang zwar einige Workshops zu diesem Thema besucht hatte, ist mir die Öffentlichkeitsarbeit im Allgemeinen und speziell die für Wissenschaftler nicht fremd. Ich halte es aber für notwendig, mich neben meiner jetzigen Tätigkeit weiterzubilden. Bei der Recherche bin ich auf einige Fernstudiengänge für Journalismus oder Public Relations gestoßen. Und natürlich auf den Fern-Master für Wissenschaftskommunikation in Bremen. Leider kann ich als Laie nicht einschätzen, mit welchem dieser Formate ich später eine gute Chance habe, mich im Bereich Wissenschaftskommunikation zu bewerben.

Daher würde ich Sie gerne um ihre Einschätzung bitten. Was halten Sie für sinnvoll? Eher Journalismus oder PR? Der Fernmaster in Bremen kommt für mich, trotz interessantem Curriculum nicht in Frage, da der nächste Kurs erst im Sommersemester 2014 startet. Natürlich brauche ich zudem Praxiserfahrung, das ist mir ebenfalls bewusst.

Meine Antwort:

Erst einmal etwas Grundsätzliches: Sie treffen mit Ihren Fragen eines der großen Probleme der Wissenschaftskommunikation in Deutschland: Es fehlen Ausbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten für Wissenschaftskommunikatoren. Das ist ein Thema, das mich sehr umtreibt, denn alle akademischen Ansätze, die es bisher dafür gibt, rechtfertigen das Wort „Wissenschaftskommunikation“ nur in ihrem Namen, sind entweder zu sehr auf ein Medium konzentriert

Wissenschaftskommunikation? – Medium Museum.

(z.B. in München: Museum), sind zu sehr am Wissenschaftsjournalismus orientiert

Wissenschaftskommunikation? – Teilbereich Journalismus.

(z. B. Bremen), was nicht ausreicht, oder konzentrieren sich auf das Wissenschaftsmarketing (z.B. TU Berlin), das auch nur einen Teilbereich der Kommunikation umfasst.

Nun meine Empfehlungen, ganz offen und ungeschützt:

Die klassische Antwort: Das kommt darauf an. Nämlich darauf, wie Ihre Lebensplanung aussieht und welche Karriere Sie in der Wissenschaftskommunikation machen wollen.

Wissenschaftskommunikation? – Teilbereich Marketing.

Wenn Sie:

  • a) davon träumen, einmal irgendwann drei Kinder großzuziehen (wovor ich große Hochachtung habe!) und bis dahin nur einen anregenden Beruf suchen, dann genügt sicherlich irgend ein Studium der Wissenschaftskommunikation, wie in Bremen oder ähnliche Fortbildungen, etwa auch Kurse oder Studiengänge für Wissenschaftsjournalismus. Denn mit Ihrem Background schätze ich Ihre Chancen, einen Job im Feld Wissenschaftskommunikation zu bekommen, gar nicht schlecht ein, immerhin praktizieren Sie das schon, merken auch anhand der Zugriffzahlen, wie die Empfänger auf verschiedene Themen und Aktionen reagieren (wobei ich dann empfehlen würde, Ihren Blog – den ich kenne und gerade wegen Ihrer Analysen auch schätze – etwas weniger meinungsorientiert, sondern mehr „Information über Wissenschaft“-orientiert zu gestalten. Der Grund: Potenzielle Arbeitgeber in der Wissenschaft lieben es nicht unbedingt, wenn die jungen Kommunikatoren zu viel nachdenken. Ihnen geht es vor allem darum, die eigene Forschung möglichst attraktiv darzustellen. Und Ihren Blog wollen Sie bei einer Bewerbung ja hoffentlich nicht verstecken, sondern als Arbeitsprobe vorweisen.)
  • b) es Ihnen genügt, als Pressesprecherin eines Instituts ihr (Berufs-)Leben lang eher als untergeordnete Erfüllungsgehilfin der großen Wissenschaftler angesehen zu werden und entsprechende Tätigkeiten auszuführen, dann sollten Sie Ihre Aus/Fortbildung etwas intensiver angehen, da wäre es gut, wenn Sie ein Praktikum in einer Redaktion machen, wenn Sie lernen, wie eine Pressemitteilung normalerweise aussieht, wenn Sie mit einem Grafiker über die Inhalte des Institutsflyers diskutieren können. Das heißt, da geht es um Praxiswissen, das Sie sich am besten in Praktika aneignen, gern auch bei einer PR-Agentur. Ansonsten sollten Sie ein klares wissenschaftliches Profil vorweisen können, vor allem natürlich in einem Fachgebiet, in dem es viele Arbeitsplätze für Instituts-Pressesprecher gibt. Biologie ist da gar nicht schlecht, vor allem breit angelegt, Physik oder so etwas ist auch nicht schlecht, Geographie wird von vielen Wissenschaftlern nicht unbedingt als richtige Wissenschaft anerkannt, die Umwelt ist aber nicht ganz schlecht. Für die Bewerbung sollten Sie sich vorher auf jeden Fall einige Arbeitsproben schaffen, also etwa Artikel, die Sie (am besten in der FAZ oder FAS) geschrieben haben oder andere größere Artikel – möglichst aus dem Fachbereich, in dem Sie sich bewerben. So sind eben Wissenschaftler als Arbeitgeber: Denen geht es eher um den Nachweis, dass Sie ihre Arbeit verstehen als um die Frage, ob Sie verstehen, wie Kommunikation funktioniert.
  • c) Sie Wissenschaftskommunikation nicht nur als Beruf, sondern als Berufung verstehen, Sie einmal in der Lage sein wollen, verantwortlich und gezielt in größeren Institutionen Kommunikationsstrategien zu entwerfen und umzusetzen, neue Wege zu beschreiten und vor allem die Wissenschaftler – als Beraterin und Partnerin auf Augenhöhe – mit Ihrem Spezialwissen zur Kommunikation in deren Fachwissen zu unterstützen, ja dann sieht es mit Aus- und Fortbildung in Deutschland ganz schlecht aus. Da kann ich Ihnen eigentlich nur raten: Machen Sie eine professionelle, reine PR-Ausbildung, ob als Studium, als Lehre oder in Fachschulen. Wissenschaft können Sie ja schon, und Sie kennen die Szene mit ihren speziellen Denkkulturen, mit ihren Normen, Strukturen und Präferenzen. Arbeiten Sie auch – wenn möglich – einige Zeit in der Unternehmenskommunikation eines großen, forschungsgeprägten Unternehmens. Ich hoffe nur, Sie gehen bei all den beruflichen und materiellen Möglichkeiten, die Sie dabei erleben werden, nicht für die Wissenschaft verloren (denn die braucht dringend so geschulte Kommunikationsprofis). Oder aber, Sie gehen in die USA und studieren dort Wissenschaftskommunikation. Das ist aufwändig, aber besser können Sie es nicht bekommen (und die Gefahr ist geringer, dass Sie für die Wissenschaft verloren gehen).

Sie haben die Wahl. Wobei ich natürlich nur holzschnittartig die Möglichkeiten herausarbeiten kann. Außerdem konnte ich natürlich gar keine Rücksichten nehmen auf persönliche Rahmenbedingungen von Ihnen, denn die kenne ich ja nicht.

Vertrauliches für viele Ohren

Die Reaktion auf meine Tipps:

Sie haben natürlich recht, wenn Sie erst einmal die Frage nach meinem Ziel stellen. Diese Frage habe auch ich mir in den letzten Monaten gestellt.
Mein Wunsch nach einer Weiterqualifikation hat sich, wie bereits geschrieben, zunächst aus der Not heraus und später zu einem Interesse entwickelt. Als Wissenschaftlerin bin ich neben der wissenschaftlichen Projektarbeit auch für die Öffentlichkeitsarbeit unseres Projekts verantwortlich. Durch die Weiterbildung im Rahmen Workshops habe ich mir Grundkenntnisse in Sachen Pressearbeit und Wissenschaftskommunikation erarbeitet und mich zunehmend für diese Arbeiten interessiert. Mit einigen Pressemitteilungen und der Organisation von Pressekonferenzen konnte ich bereits erste praktische Erfahrung sammeln.
Ich habe auch erfahren, dass ich damit nicht alleine bin: Im Allgemeinen ist es in der universitären Forschung an der Tagesordnung, dass die Außendarstellung einzelner Projekte und auch die Kommunikation mit der Öffentlichkeit, so sie denn erwünscht ist, vom wissenschaftlichen Personal mit erledigt wird. Das „Mit-erledigen“ impliziert dabei schon, dass es nicht als prioritär betrachtet wird. Das Potential kann so natürlich auch nicht ausgeschöpft werden. Die praxisorientierte Forschung verlangt jedoch zunehmend nach einem Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit.

An diesem Punkt fragen Sie sich sicherlich: soviel zur Vergangenheit, aber was ist denn nun das Ziel der jungen Dame? Mein Ziel ist es, im Bereich Wissenschaftskommunikation, also an der Schnittstelle zwischen Forschung und Medien bzw. Öffentlichkeit, zu arbeiten und möglichst viel praktische Erfahrung zu sammeln. Ich kann mir auch vorstellen nicht direkt in der Pressestelle einer Hochschule oder Forschungseinrichtung zu arbeiten, sondern direkt als Kommunikator in einem Forschungsprojekt, welches einen Schwerpunkt hat bei der Kommunikation wissenschaftlicher Arbeiten, sei es innerhalb der wissenschaftlichen Grenzen, zwischen Disziplinen, oder über die Grenzen der Wissenschaft hinaus. Ich denke nämlich, dass in Zukunft auch die Forschungsförderung dieser Aufgabe mehr Gewicht beimessen wird. Derzeit gibt es solche Stellen jedoch meines Wissens nur sehr begrenzt.

Wenn ich diese Ziele mit Ihren Ausführungen abgleiche, verorte ich mich zwischen dem Profil „Pressesprecher als Gehilfe des Wissenschaftler“ und „Wissenschaftskommunikation als Berufung“. Bei meinen Überlegungen habe ich jedoch noch nicht die jeweilige Endstufe angepeilt, was jedoch für die Qualifizierung und den Weg dort hin wichtig ist.

Um da hin zu kommen möchte ich gerne das Handwerkszeugs der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit erlernen, um es dann auch sicher anwenden zu können. Ich möchte mir quasi das Fundament und die Instrumente aneignen. Zertifikate spielen dabei, so denke ich, eine nicht ganz unwesentliche Rolle. Denn die wenigen Stellen in der Wissenschaftskommunikation und -PR sind hart umkämpft. Sogar für Volontariate wird vorausgesetzt, dass man ein relevantes Hochschulstudium absolviert hat und einschlägige (praktische und theoretische) Erfahrung im journalistischen Bereich gesammelt hat. Aufgrund meines naturwissenschaftlichen Studiums, meiner sozialwissenschaftlichen Forschungsarbeit derzeit, sowie meiner ersten praktischen Erfahrung mit Öffentlichkeitsarbeit und bloggen schätze ich meine Chancen zwar als relativ gut ein, konkurriere jedoch mit vielen Journalisten und Kommunikationswissenschaftlern, die ebenfalls in die Wissenschaftskommunikation streben. Um meine Platzierung in diesem „Rennen“ zu verbessern, möchte ich mir einen Vorsprung verschaffen, indem ich mich parallel zu meinem jetzigen Job in der Forschung im Journalismus oder in Sachen Public Relations qualifiziere.

Aus Ihren Anregungen nehme ich mit, dass ich mich

  1. für ein Fernstudium entscheiden werde. Nach meiner derzeitigen Recherche ist mein Favorit die Ausbildung/das Fernstudium „Public Relations“ der Freien Journalistenschule in Berlin. Meine jetzige Tätigkeit bietet mir leider wenig Zeit zur Weiterbildung.
  2. nebenbei um den Ausbau meiner praktischen Erfahrungen kümmere, dazu engagiere ich mich als inoffizielle PR-Beauftragte unseres Instituts und konzipiere derzeit einen Newsletter.
  3. in meinem Blog eher um die Wiedergabe wissenschaftlicher Inhalte kümmere und den Blog weniger meinungsorientiert gestalte.

Soviel zunächst zu meiner Motivation, meinen Zielen und meinem Weg dorthin. Wenn Sie diesbezüglich noch weitere Hinweise haben, dann haken sie gerne ein.

An dieser Stelle möchte ich aber noch etwas anderes ansprechen, was ein wenig sympomatisch für das heutige Selbstverständnis von Wissenschaftlern ist: Ich habe erfahren, dass viele Wissenschaftler, denen ich von meinem Wunsch nach einem Wechsel in die Wissenschaftskommunikation berichte, erstaunt darüber sind. Einige dieser Menschen finden meine Umorientierung gut und bestärken mich in dieser Absicht. Andere betrachten es als Rückschritt, die Forschung zu verlassen und die Seiten zu wechseln. Wiederum andere raten mir, dass ich vorher auf jeden Fall promovieren solle, denn nur ein Wissenschaftskommunikator mit Doktortitel werde auch von den Wissenschaftlern ernst genommen. Ich bin jedoch anderer Meinung und vermute, dass diese Denke genau dem Vorurteil der Wissenschaftlerattitude entspricht.

Soweit der Mail-Dialog bisher (wird natürlich fortgesetzt):

Kommentare, Anregungen, eigene Erfahrungen, ja auch kritische Stimmen, die die Szene von Außen betrachten – sind hoch willkommen. Welches ist der richtige Weg in die Wissenschafrtskommunikation, wenn die Situation schon so ist in Deutschland, wie sie ist? Ihr Rat, Ihre Meinung kann vielen jungen Kollegen helfen, für sich selbst die richtigen Entscheidungen zu fällen. Kommentieren Sie, schreiben Sie mir, ernsthafte Stellungnahmen in diesem sensiblen Feld auch anonym. Nicht nur Cornelia XYXY wird davon profitieren.