Prosit 2014 – Der Wissenschafts-Blog des Jahres 2013 ist gewählt

Posted on 2. Januar 2014

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Reiner_Blog_miniSie haben ja so recht, lieber Alexander Gerber! Nicht nur, dass viele eine Wahl zum Wissenschafts-Blog des Jahres ernst nehmen. Das ist ja OK. Doch viel schlimmer: Sie nehmen sich selbst viel zu ernst und können es nicht vertragen, wenn der Blog, den sie vertreten oder von dem sie begeistert sind, bei dieser Wahl nicht siegt – oder gar nicht dabei ist. Diese Einstellung hat in diesem Jahr – betrachtet man die Kommentarspalten, und erst recht die über 20 von mir gelöschten Kommentare – die Wahl zum „Wissenschafts-Blog des Jahres 2013“ geprägt.

Zum Glück nur nach Außen! Hinter den Kulissen ging es dagegen eher gelassen zu. Trotz aller Diskussionen war der Wahlverlauf normal: Nach einem Boom der Stimmkampagnen von einigen Fangruppen, die unbedingt Sieger werden wollten, verteilten sich die Stimmen recht gleichmäßig auf die Kandidaten, zur Halbzeit hatten sich die Stimmen weitgehend ausgeglichen und noch fast ein Dutzend Kandidaten hatte gute Chancen, den Lorbeer zu holen. Am Ende waren über 4.000 Stimmen abgegeben, eine deutliche Steigerung zum letzten Jahr. Es gab einen klaren Sieger, wenn auch knapp, und auf den Plätzen landeten Wissenschafts-Blogs, die wohl heftige Diskussionen auslösen werden, aber mit Sicherheit zu denen gehören, die ich persönlich aus guten Gründen – und wohl auch das ebuzzing-Ranking (dessen Top-25 ich als Richtschnur für meine Auswahl nehme) – als Wissenschafts-Blogs sehe. Davon später mehr. Besonders spannend war das Rennen um den dritten Platz, es entschied sich ganz knapp erst in letzter Minute.

Hier ist er, der „Wissenschafts-Blog des Jahres 2013“, ein alter Bekannter, denn vor zwei Jahren war er bereits Sieger:

„Astrodicticum Simplex“ von Florian Freistetter

Der Wissenschafts-Block in Gold - Für "Astrodicticum Simplex"

Der Wissenschafts-Block in Gold – Für „Astrodicticum Simplex“

Titel_Astrodicticum_kleinEin klassischer Wissenschafts-Blog, der mit hohem persönlichen Engagement, mit großem Geschick, mit journalistischer Professionalität und enger Web-Affinität über Aktuelles und Wissenswertes aus der Wissenschaft berichtet. Insbesondere aus den Feldern Astronomie und Physik, den Heimatdisziplinen Florian Freistetters – ein Astrophysiker, der das Bloggen zum Beruf gemacht hat. Er trifft in seinen Berichten den richtigen Ton für das Internet-Publikum, sprüht von Ideen und wird nicht müde, sie umzusetzen. Ein paar mehr von diesen Blogs, verteilt auf die anderen Disziplinen, und es wäre ein kompletter Wissenschafts-Nachrichtendienst.

Auf dem 2. Platz landete der Blog:

„Kritische Wissenschaft – critical science“ von ???

Der Wissenschaftsblock 2013 in Silber - für "Kritische Wissenschaft - critical science"

Der Wissenschaftsblock 2013 in Silber – für „Kritische Wissenschaft“

Logo_KritischeWissenschaft_kleinJa, da fange ich schon zu schwimmen an. Wer steckt dahinter? Ein ordentliches Impressum habe ich trotz intensiver Suche nicht gefunden. Ein Blog, der sich auf den Philosophen Karl Popper beruft, sich mit der gesellschaftlichen Seite von Wissenschaft beschäftigt und der zugleich voller Widersprüche steckt – er fordert Transparenz, lässt selbst Transparenz aber vermissen; er startet eine Aktion für eine ideologiefreie deutsche Wikipedia, steckt selbst aber voller Ideologie. Seine Beiträge sind intelligent geschrieben, argumentieren auf höchstem Niveau, und zugleich geht es meist plump gegen gesellschaftliche Entwicklungen wie Frauenrechte, Antirassismus, Gewerkschaften, schlicht alles, was die Blogautoren als „Mainstream“ ansehen und was ihnen nicht passt. Kritik als Selbstzweck? – Sicher ein Thema für eine eingeschworene Gemeinschaft.

Auf dem 3. Platz landete der Blog:

„Klimalounge“ von Anders Levermann, Stefan Rahmstorf und Martin Visbeck.

Der Wissenschaftsblock in Bronze - für "Klimalounge"

Der Wissenschaftsblock in Bronze – für „Klimalounge“

Titel_Klimalounge_kleinAlle drei Klimaforscher, in der heutigen forschungspolitischen Diskussion ebenfalls eine eingeschworene Gemeinschaft. Ein Blog, der nicht müde wird, vor den Folgen des Klimawandels zu warnen und dies mit wissenschaftlichen Ergebnissen zu untermauern, dabei streitbar ist bis zu Gerichtsverfahren. Eine Mischung von Wissenschaft und gesellschaftlichem Engagement, entsprechend auch mit einer gehörigen Fangemeinde ausgestattet. Am besten charakterisiert diesen Blog wohl der Titel des jüngsten Blogposts:“Wofür sollten Forscher eintreten?“ Was heißt: Wissenschaft ist nicht nur Erkenntnis, sondern fordert zum aktiven Handeln heraus.

Übrigens: Nur ganz knapp geschlagen wurde von der „Klimalounge“ der Viertplatzierte, der „Science Skeptical Blog“ der genau die andere Seite der Klimadebatte vertritt und ebenfalls mit einer breiten, sehr aktiven Fangemeinde ausgestattet ist. Das war bis zum Schluss buchstäblich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Der Science Skeptical Blog wurde im vergangenen Jahr übrigens zweiter bei der Wahl der Wissenschafts-Blogs des Jahres.Der Sieger des Vorjahres, der Blog „Planckton“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, landete dieses Mal ebenfalls in der Spitzengruppe, aber ganz knapp nicht auf den vorderen drei Plätzen.

Was ist eigentlich ein „Wissenschafts-Blog“? Diese Frage taucht immer wieder in den Kommentaren auf, etwa wenn es darum geht, dass ein Klimaskeptiker-Blog direkt gegen einen Klimaforscher-Blog konkurriert, oder wenn sich jemand wundert, was ein Blog zu Ufos und PSI-Phänomenen mit den Skeptikern der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften gemein haben. Nun: In allen geht es um Wissenschaft. So breit aufgestellt Wissenschaft ist, von der Kosmologie bis zur Durchdringung historischer Ereignisse, unsere Gesellschaft ist in ihren Sichtweisen noch breiter. Und Wissenschafts-Blogs gehören – schon von ihrer Bezeichnung her – nicht zur Welt der Wissenschaft, wo Forscher entscheiden mögen, was Wissenschaft ist und was nicht. Sondern zur Welt des Internets, das die ganze Breite der Interessen und Perspektiven unserer Gesellschaft widerspiegelt. Ich denke, es ist wichtig, dass Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren (die zwei Kernzielgruppen dieses Blogs) immer wieder auch damit konfrontiert werden, dass es nicht nur die wissenschaftliche Sichtweise der Welt gibt. Wenn Wissenschaft mit dem Rest der Gesellschaft besser kommunizieren will, dann muss sie sich auch mit allen ihren Perspektiven auseinandersetzen.

Als Richtschnur für die Auswahl der Kandidaten dienten die Top-25 des renommierten ebuzzing-Rankings der Wissenschafts-Blogs. Nicht nur, weil dieses Ranking offensichtlich ein ähnliches Verständnis von Wissenschafts-Blogs hat, sondern weil ich ein Korrektiv meiner eigenen Meinung suche, ich mir eine breitere Übersicht über die Welt der Wissenschafts-Blogs erhoffe, als ich sie allein jemals gewinnen kann. Natürlich nutze ich die Freiheit, um auch – als „Picks der Redaktion“ – einzelne Blogs in die Kandidatenliste mit aufzunehmen, die ich für interessant und bemerkenswert halte, schon allein um ihnen ein bisschen mehr Bekanntheit zu verschaffen (in der Wahl haben sie alle auf den hinteren Plätzen abgeschnitten, was zwar nicht für Popularität und Fangemeinde spricht, sie aber keineswegs weniger interessant und anregend macht).

Und natürlich darf niemand an eine Internet-Wahl die Kriterien anlegen, die man natürlicherweise etwa für eine Bundestagswahl erwartet. Trotz IP-Adressen-Check und Cookies sind Doppelstimmen, Abstimmungskampagnen und vielleicht auch mehr oder weniger große technische Tricks immer möglich. Wer mich unterstützen kann, um die Wahl weniger manipulationsanfällig zu machen – soweit das im Internet überhaupt geht – ist hoch willkommen. Bitte melden.

Ich meine aber, wer die möglichen Tricksereien nutzt, um seine Favoriten zum Sieger zu machen, desavouiert sich und entwertet den Sieg damit auch selbst. Denn ist der Sieg hier tatsächlich so wichtig, dass man illegitime Wege gehen muss? Wir versuchen, mit den Mitteln, die einem nichtkommerziellen Blog zur Verfügung stehen, eine möglichst faire Wahl durchzuziehen. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.

Ach ja, und die Diskussionen in den Kommentaren! Da ging es im wesentlichen um einen Blog, der dieses Jahr gar nicht zur Wahl stand, da er eine kleine, aber im Sinne der Transparenz wichtige Formalie nicht eingehalten hatte. Und das artete dann in einen Kleinkrieg einzelner Blogs und ihrer Anhänger aus. Dafür ist diese Wahl sicher nicht die richtige Plattform. Um die Leser dieses Blogs nicht zu langweilen, habe ich Kommentare zu diesem Thema gelöscht und keine weiteren mehr angenommen. Natürlich habe ich mir von einzelnen Fanatikern dafür den Vorwurf der Zensur eingehandelt. Sei‘s drum, ich finde Diskussionen in Blogs toll, sie sind ein wichtiger und anregender Bestandteil dieses Mediums. Aber wer langweilt, verhindert Information. Und das will ich hier vermeiden.