Einmal zurücklehnen bitte: Wie drastisch das Internet schon heute die Wissenschaft und ihre Kommunikation verändert hat, wird in der Bilanz erst richtig deutlich. Daraus stellen sich ständig neue Anforderungen für die Wissenschaftskommunikation. Ein Gastbeitrag von Prof. Christoph Neuberger, Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Uni München.

Prof. Christoph Neuberger, ein ausgewiesener Experte für den Medienwandel durch das Internet und die Konsequenzen.
Keine Frage: Die Bedeutung des Internets für die Wissenschaftskommunikation wächst – sowohl in der Fachöffentlichkeit der Scientific Community als auch in der breiten Publikumsöffentlichkeit, an der Wissenschafts-PR, Wissenschaftsjournalismus und Publikum beteiligt sind. Ich betrachte beide Wissenschaftsöffentlichkeiten, denn nur durch den parallelen Blick lässt sich der Wandel verstehen.
Partizipation, Interaktion und Transparenz sind wesentliche Merkmale des Internets. Wie wirken sie sich aus? Das Internet besitzt das technische Potenzial, die Mitsprache, den Dialog und die Sichtbarkeit zu erleichtern und damit auch sozial zu erweitern. Ablesbar ist dies daran, dass zwei Schwellen gesenkt werden, die bisher den Zugang zur Öffentlichkeit für Kommunikatoren und Rezipienten beschränkt haben:
Die Gatekeeper-Schwelle

Die Gatekeeper verlieren – Ob Fach- oder Publikumskommunikation: Das Internet bietet den direkten Draht. (Foto: turi2.de)
Bisher mussten Forschungsergebnisse oder Nachrichten erfolgreich Gatekeeper-Stellen passieren, bevor sie öffentlich wurden. Redaktionen wirkten als Filter, in denen über die Veröffentlichung oder Nicht-Veröffentlichung entschieden wurde. Dies galt für beide Öffentlichkeiten und gilt auch heute noch in weiten Teilen – aber nicht mehr ausschließlich. Denn im Internet kann nun prinzipiell jeder publizieren. Dies eröffnet neue Möglichkeiten:
Wissenschaftler/innen können bereits fortlaufend über den Forschungsprozess berichten (Open Science), die Daten zugänglich machen, auf denen ihre Befunde basieren (Open Data), oder vorab ihre Ergebnisse veröffentlichen (Pre-Publishing), ohne dass sie den Prüfprozess eines Journals durchlaufen haben. Und auch dieser Prüfprozess kann transparenter gestaltet werden (Open Peer Review).
Doch nicht nur im bislang verschlossenen Vorfeld der Gatekeeper-Schwelle werden Barrieren gesenkt – auch anschließend, im bisher schon öffentlichen Teil wird der Zugang erleichtert: Open Access verschafft einen kostenfreien Zugang zu Forschungsergebnissen. Der Diskurs darüber verlagert sich gleichfalls ins Internet, etwa in Blogs. Plattformen wie Academia.eu und ResearchGate.net vernetzen die Scientific Community und machen zugleich Kolleginnen/en über deren Profile besser sichtbar. Und um den Überblick über diese Fülle an Informationen zu behalten, werden Suchhilfen wie Google Scholar und Aggregatoren angeboten.
Kurz: Das Wissenschaftssystem wird im Internet in vielen Facetten transparenter, und die Möglichkeiten der Teilnahme wachsen. Damit ändert sich recht viel – aber nicht alles: Fachmedien mit einem Peer Review behalten ihre wichtige Stellung, auch wenn sie umgangen werden können. Reputation wird nach wie vor über Publikationsorgane mit Qualitätssicherung zugewiesen.
Ähnliches beobachten wir in der Publikumsöffentlichkeit: Die journalistischen Quellen, auch die PR-Akteure der Wissenschaft, können nun – ohne Umweg über Redaktionen – direkt und ungefiltert ihre Zielgruppen ansprechen. Und umgekehrt kann sich das – bisher meist schweigende – Publikum der Massenmedien öffentlich zu Wort melden. Damit werden zugleich Quellen und Publikum besser sichtbar.
Wir müssen eine zweite Schwelle in den Blick nehmen:
Die Wissenschaftler-Laien-Schwelle

Der Katheder hat ausgedient – Wissenschaftler und Laien kommen direkt im Internet miteinander ins Gespräch. (Foto: GDNÄ)
In der Vor-Internet-Ära bestand zwischen Wissenschaftlern und Nicht-Wissenschaftlern eine hohe Barriere, die von der Seite der Laien kaum überwindbar war. Im Internet sinkt auch diese Schwelle, sodass sich beide Öffentlichkeiten vermischen können. Das Publikum bekommt einen tieferen Einblick in die Forschung, der Zugang zu wissenschaftlichem Wissen erweitert sich. Der Dialog zwischen Wissenschaft und Bürgern wird einfacher, und sie können sich selbst an der Forschung beteiligen (Citizen Science).
All diese Phänomene ergeben sich nicht zwangsläufig aus der Existenz des Internets. Es gibt weder einen technischen Determinismus (alles geschieht, was möglich ist) noch einen technischen Imperativ (alles muss gemacht werden, was möglich ist). Im Gegenteil: Viel mehr als frühere Medien ist das Internet formbar, es bietet eine Vielzahl an Gestaltungs- und Gebrauchsmöglichkeiten. Und viel mehr stellt sich deshalb die Frage, wie die neuen Optionen zu bewerten und sinnvoll einzusetzen sind.
Veränderungen und die Konsequenzen
Zunächst: Was bewirken die Veränderungen? Darüber gehen die Meinungen auseinander: Während die einen optimistisch auf eine höhere Qualität der Wissenschaftskommunikation, mehr Demokratie durch Mitsprache und mehr Vertrauen durch Transparenz setzen, befürchten andere einen Qualitätsverlust, mehr Wettbewerb, interessengeleitete Kampagnen und eine Überforderung des Publikums. Die Folgen der neuen Möglichkeiten sind ambivalent und bisher erst in Ansätzen erkennbar. Die Forschung über den Einsatz*) des Internets in der Wissenschaftskommunikation fügt sich noch nicht zu einem Gesamtbild. Entsprechend vorläufig müssen Empfehlungen sein. Dennoch möchte ich abschließend vier Hinweise geben:
- Vorder- und Hinterbühne: Entgegen einseitigen Forderungen nach größtmöglicher Transparenz und Partizipation sollte auch in der Wissenschaft weiterhin zwischen Vorder- und Hinterbühne unterschieden werden. Im wissenschaftlichen Prozess lassen sich Kommunikationsformen bestimmten Phasen zuordnen. Dabei nimmt tendenziell mit dem Grad der Bewährung der Ergebnisse auch der Grad der Zugänglichkeit zu – bis hin zur Publikation in einer Fachzeitschrift und zur Verbreitung über Massenmedien. Hier wäre zu prüfen, an welchen Stellen mehr Transparenz und Beteiligung sinnvoll sind, z.B. beim Peer Review. Dagegen könnte die Beobachtbarkeit jedes Schritts im Labor die Risikobereitschaft senken, denn Fehlschläge und Umwege wären sofort publik. Außerdem entsteht ein Zeitdruck, weil auch die Konkurrenz und die möglichen Anwender zusehen.
- Rollentransparenz: Vertreter von Wissenschaft, Journalismus, PR und anderer Teilsysteme sollten weiterhin klar als solche erkennbar sein. Im Internet verwischen oft die Rollen oder bleiben im Dunkeln. Es ist für die Qualität der Wissenschaftskommunikation unerlässlich, dass die eigene Identität und die eigene Rolle offengelegt werden. Also: Laien sollten sich nicht die Rolle des Wissenschaftlers anmaßen, PR sollte nicht Journalismus imitieren, und Interessenvertreter sollten sich nicht als Bürger ausgeben.
- Lernen unter den Bedingungen des Internets: Das Internet ist – anders als Presse und Rundfunk – kein technisch limitiertes Medium in der Hand weniger Anbieter und mit relativ stabilen Strukturen. Das Internet ist ein multioptionales und partizipatives Medium: Es steht Akteuren mit sehr unterschiedlichen Interessen offen und bietet ihnen eine Vielzahl an Gestaltungs- und Gebrauchsmöglichkeiten. Diese Eigenschaften besitzen vor allem Social Media. Aus diesen Gründen bilden sich im Internet nur schwer feste Strukturen heraus, die Erwartungssicherheit schaffen. Wissenschafts-PR und Wissenschaftsjournalismus müssen sich daher permanent am Handeln und an den Erwartungen anderer Akteure orientieren.
- Notwendigkeit vermittelnder Dritter: Obwohl sich Quellen und Publikum „kurzschließen“ können, sind im Internet weiterhin selektierende, prüfende und präsentierende Instanzen notwendig, die sich an journalistischen Normen wie Neutralität und Objektivität orientieren und Vertrauen sichern. Neben der traditionellen journalistischen Aufgabe der Produktion von Inhalten kommen aber neue Vermittlungsleistungen hinzu wie Navigation (Selektionshilfen im Internet) und Moderation (Unterstützung von Partizipation und Interaktion). Neben den traditionellen Intermediären, dem professionellen Wissenschaftsjournalismus und den wissenschaftlichen Fachmedien, können solche Aufgaben auch neuartige partizipative und technische Vermittler erfüllen (Citizen Journalism, Open Access Journals, Suchmaschinen).
Fazit
Was ergibt sich aus dem Gesagten für die Wissenschafts-PR? In wenigen Punkten zusammengefasst: Wissenschafts-PR bekommt einen direkten Zugang zu den verschiedenen Adressaten. Sie sollte als PR erkennbar sein und den Wissenschaftsjournalismus nicht ersetzen wollen. Sie kann internetadäquate neue Leistungen erbringen (Aggregation, Archivierung, Dialog usw.). Zugleich sollte sie sich an den Qualitätsstandards orientieren und negative Rückwirkungen auf die Forschung vermeiden.
In diesem Beitrag habe ich die Thesen meines Vortrags zusammengefasst, den ich am 11. März 2015 auf der Tagung „Zur Zukunft der Wissenschaftskommunikation – und die Rolle des idw“ an der Humboldt-Universität in Berlin gehalten habe.
*) Neuberger, Christoph (2014): Social Media in der Wissenschaftsöffentlichkeit. Forschungsstand und Empfehlungen. In: Weingart, Peter/Schulz, Patricia (Hrsg.): Wissen – Nachricht – Sensation. Zur Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien. Weilerswist: Velbrück, S. 315-368.
März 24th, 2015 → 12:49
[…] https://wissenschaftkommuniziert.wordpress.com/2015/03/24/die-neue-ara-wie-das-internet-die-wissensc… […]
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Februar 22nd, 2017 → 10:11
[…] wie Neuberger (Spezialgebiet Online-Medien, sein Beitrag in diesem Blog „Die neue Ära – Wie das Internet die Wissenschaftskommunikation verändert“) wüsste, wie wichtig die Kommunikation für das Zusammenspiel der gesellschaftlichen Kräfte ist. […]
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