
Die Wissenschaftsjournalisten der WPK (hier das Logo) haben Probleme mit Wissenschaftlern. Doch ihr Kontaktversuch nutzt die falschen Argumente.
Den Wissenschaftsjournalisten geht es schon längere Zeit wirklich nicht gut. Angesichts der Medienkrise brachen in diesem Ressort als Erstes die Personalstellen und für freie Mitarbeiter die Aufträge weg. Doch dann kam das neue Coronavirus. Da alle Welt nach Eigenschaften und Forschungsergebnissen fragte, brachte es für viele Wissenschaftsjournalisten eine willkommene Böe in der Flaute. Ja der Windstoß wandelte sich zum Sturm: Spätestens mit der Ankunft des Erregers in Deutschland wollte jede Nachrichtensendung, jede Talkshow, jede Tageszeitung die Stellungnahmen von sachkundigen Wissenschaftlern haben, wollte wissen, was am besten zu tun war und warum. Wissenschaft war in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Fortan aber befragten nicht mehr allein Wissenschaftsjournalisten die Wissenschaftler, sondern vor allem die politischen, die allgemeinen Ressorts und die großen Talkshows. Was der Wissenschaft richtig große Sichtbarkeit gern verschaffte. Schließlich ging es ja um Beratung der Gesellschaft in einer höchst dynamischen Krise. Zunächst waren vor allem die Virologen gefragt, später verlagerte sich das Interesse stärker auf Wirtschaftswissenschaftler, Geistes- und Gesellschaftsforscher.

Fehlende Verteidigung durch Wissenschaftsjournalisten: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet bei Anne Will „Drei Virologen, drei Meinungen“. (Foto: ARD)
Wissenschaftsjournalisten blieben dabei weitgehend außen vor und wo sie auftraten – ich erinnere mich an einzelne Talkshows – hatten sie nichts Wesentliches zur Bewältigung der Krise beizutragen. Noch nicht einmal die Verteidigung der Wissenschaftler gelang ihnen, etwa als Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident den haarsträubenden Satz von den „drei Virologen, drei Meinungen“ sprach (bei Politikern finden sich drei – oft genug sogar widersprüchliche – Positionen gern in einer Person).
Mit den Lockerungen und den zusätzlichen Informationen über das neue Coronavirus sind die Virologen inzwischen etwas aus dem Blickfeld der Medien und der Gesellschaft geraten. Jetzt sind sie eher die unangenehmen Mahner und Warner, aber wer hört da schon gern hin. Jetzt geht es in der Öffentlichkeit mehr um Wiederbelebung der Wirtschaft, um Wiederherstellung der gesellschaftlichen Leistungen, wie Schulen und Kitas, und um die Freiheitsrechte der Bürger. Für die Wissenschaftsjournalisten hat die Flaute wieder voll zugeschlagen. Ja schlimmer noch, angesichts der überall greifenden Sparmaßnahmen stehen noch weniger Platz und kleinere Honoraretats für die klassische Wissenschaftsberichterstattung bereit. Gefragt sind jetzt angesichts der enormen gesellschaftlichen Probleme vor allem Gesellschafts- und Geisteswissenschaftler.

Virologen und andere Wissenschaftler als Stammgäste in reichweitenstarken Talkshows: Prof. Drosten bei Maybritt Illner. (Foto: ZDF/S.Pietschmann)
Die Kollegen der Wissenschaftspressekonferenz (WPK), der großen Vereinigung der Wissenschaftsjournalisten in Deutschland, empfinden dies als „Rückzug“ ihrer gewohnten Informanten: „Viele von uns WissenschaftsjournalistInnen haben in den vergangenen Wochen erlebt, wie sich ein großer Teil der ExpertInnen aus dem Dialog mit Zeitungen und Rundfunkanstalten zurückgezogen hat.“ Sie sind „nur sehr schwer erreichbar“, wie die Initiatoren eines Rundbriefs in einer E-Mail ergänzen.
Und die WPK startet eine außergewöhnliche Aktion, um für den Kontakt der Forscher zu den Wissenschaftsjournalisten zu werben: In persönlichen Briefen an leitende Wissenschaftler in den wichtigsten Forschungsinstitutionen fordern 46 Unterzeichner die Wissenschaftler auf, den Anfragen von Wissenschaftsjournalisten mehr Zeit zu widmen: „Es wäre hilfreich, wenn diese Profession gerade jetzt Zugang zu reputierten Forschenden behält.“ Es folgen drei Vorschläge, etwa wann das günstigste Zeitfenster für Wissenschaftsjournalisten ist (am „Morgen vor 10 Uhr“ – wirklich?), zur Organisation von Presseauskünften (über das ScienceMediaCenter – wirklich?) und zur Delegation von Auskünften an Mitarbeiter oder Kollegen.
Mit Verlaub: Führende Wissenschaftler sind, wie die Bayern sagen, nicht „auf der Brennsuppe daher geschwommen“. Sie haben Erfahrung im Management ihres Instituts oder ihrer Forschergruppe. Ihnen muss man nicht sagen, dass sie auch einen Telefontermin vereinbaren können (wobei noch nicht einmal der Begriff „zeitnah“ erwähnt wird, der für Journalisten extrem wichtig ist). Sie wissen, welche Aufgaben sie delegieren können und welche nicht (der Auftritt nach Außen – und das ist ein Journalistenanruf – gehört im Regelfall nicht dazu). Ein welch naives Bild haben die Kollegen von den Wissenschaftlern?
Wenn jemand keine Zeit für Gespräche mit Journalisten (auch Wissenschaftsjournalisten) findet, ist das zunächst meist keine Frage des Zeitbudgets, sondern eine Frage seiner Prioritäten: Anderes ist ihm einfach wichtiger. Doch warum? Selbst wenn es stimmt, dass sich wichtige Wissenschaftler zurückgezogen hätten, dann doch wohl vor allem, weil ihnen ihre Forschungsaufgaben auf den Nägeln brennen. Die sind durch Lockdown, Home Office, Reisebeschränkungen etc. wohl überall ins Stocken geraten und für viele irgendwann dann doch wichtiger als das Wirken nach Außen. Oder aber, sie ziehen sich gar nicht zurück, sondern haben erkannt, dass sich über Wissenschaftsjournalisten nur immer ein begrenztes Publikum und eine begrenzte Wirkung erreichen lässt – nämlich die Wissenschaftsinteressierten –, dass sie also über die anderen Ressorts und die TV-Talkshows sehr viel mehr bewirken, und dass ihnen das wichtig ist?
Es rächt sich jetzt auch, dass Wissenschaftsjournalisten sich fast ausschließlich auf Naturwissenschaften und Medizin konzentrieren. Die Gesellschafts- und Geisteswissenschaften, die jetzt im Vordergrund stehen, haben ganz wenige Wissenschaftsjournalisten im Fokus, noch weniger verbinden beide Bereiche – und wenn, dann nennen sie sich meist nicht mehr „Wissenschaftsjournalist“. Aber gerade die Wirtschaftswissenschaften oder Erkenntnisse zu gesellschaftlichen und psychologischen Folgen von Angst, Lockdown und Pandemie-Erfahrungen wären jetzt ein lohnendes Berichterstattungsthema.
Leider nennt der Brief der WPK auch keinen guten Grund, weshalb die führenden Wissenschaftler jetzt mehr Zeit den Wissenschaftsjournalisten widmen sollten. Außer Allgemeinplätzen wie „Sowohl Wissenschaft als auch Journalismus sind entscheidend in der derzeitigen Pandemie“, ist wenig Überzeugendes zu finden. Dabei gäbe es viele Argumente, weshalb Wissenschaftsjournalisten für die Wissenschaft auch jetzt unentbehrliche Ansprechpartner sind. Etwa wie wichtig es wäre, angesichts von Zweifeln und Verschwörungstheorien die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft durch kundige Berichterstattung zu untermauern. Etwa wie essentiell es für die Zukunft der Wissenschaft ist, nicht nur während einer Krise in der Mitte der Gesellschaft zu stehen, sondern dauerhaft als wertvolle Berater. Und, und, und….
Stattdessen unterstellt der Brief der WPK pauschal, dass durch andere Ressorts „fachliche Einschätzungen (nicht) durch politisch untermalte Spekulationen“ verdrängt würden. Und geradezu arrogant behauptet man, dass Wissenschaftsjournalismus etwas Besseres sei, als Journalismus in anderen Ressorts: „Nicht jede Spielart des Journalismus ist gut, aber gerade der Wissenschaftsjournalismus ist in Zeiten wie diesen systemrelevant. (Fast) so wie die Wissenschaft.“
Bereits Anfang April hatte sich die Wissenschaftspressekonferenz in einem offenen Brief über schlechte Recherchemöglichkeiten der Wissenschaftsjournalisten beklagt. Dieser Appell, der bei den Angesprochenen viel Kopfschütteln erntete, richtete sich vor allem an die Kommunikatoren der Wissenschaft. Praktisch in die gleiche Kerbe schlägt nun die Aktion mit den persönlichen Briefen an führende Wissenschaftler.
Dem Wissenschaftsjournalismus geht es wirklich nicht gut. Mir scheint aber, dass dieser Beruf (den ich selbst für den schönsten der Welt und natürlich für äußerst wertvoll halte – schließlich habe ich ihn selbst über 30 Jahre voller Überzeugung betrieben) nicht nur ein Problem hat, sondern drei: Eben neben dem Wegbrechen der wirtschaftlichen Basis, ganz offensichtlich auch mangelhaften Zugang zu essentiellen Informationsquellen und eine suboptimale Interessenvertretung, die in dieser Krise ausgesprochen hilflos wirkt.
Das ist ein Problem, gerade auch für die Wissenschaftskommunikation. Sie braucht, auch wenn sie mehr und mehr Zielgruppen direkt ansprechen kann, unbedingt einen guten, kompetenten Wissenschaftsjournalismus.
Hinweis zur Befangenheit: Der Autor dieses Kommentars ist seit Jahrzehnten Mitglied der Wissenschaftspressekonferenz (WPK) und wird es voller Optimismus auch weiterhin bleiben.
Manfred Ronzheimer
20. Mai 2020
Gut gebrüllt, bayerischer Löwe. Aber worum es geht, sind nicht die zwei Briefe, sondern die am Schluss nur kurz angesprochenen drei Defizit-Punkte. Am 27.5. steht in einer Anhörung des Forschungsausschuss im Bundestag auch der Wissenschaftsjournalismus und seine Zukunft zur Debatte. Diese Position und sich daraus ergebende Forderungen müssen jetzt diskutiert werden, nicht irgendwelche Briefe.
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Josef König
24. Mai 2020
Dieser offene Brief der WPK ist an Naivität kaum zu überbieten, das gilt nicht nur für die Annahme, dass in der gegenwärtigen Phase Wissenschaftler und Pressestellen jederzeit verfügbar sein könnten, wie auch in mancher Forderung, die das Gegenteil dessen ist, was in den vergangenen Jahren praktiziert und gelebt worden ist.
HIer nur wenige HInweise:
– die Pressestellen der Hochschulen z.B. arbeiten auf Hochtouren und zum größten Teil im homeoffice und haben schon genug damit zu tun, die interne Kommunikation zu organisieren und die eigenen Teams zu leiten sowie den Führungsetagen der Hochschulen z.B zur Verfügung zu stehen und deren Kommunikaiton zu organisieren.
– Jahrelang haben Wissenschaftsjournalisten eher dafür plädiert, dass die Pressestellen Personal der Wissenschaftskommunikation abbauen, weil ein Ungleichgewicht zu Wisssenschaftsjournalisten entstünde, und nun noch fordern sie sogar deren Vergrößerung!
– Jahrezehntlang besuchte kaum ein Wissenschaftsjournalist eine PK in einer Wissenschaftsinstitution, als Mitarbeiter von Pressestellen hatte man kaum direkten Zugang zu Wissenschaftsjournalisten gefunden, und nun fordert die WPK das Gegenteil, die Veranstaltung und Organisation von virtuellen PKs.
– Seit 25 Jahren vermittelt der Informationsdienst Wissenschaft (idw-online.de) auf Anfrage Experten, hält auch eigene Expertenlisten zu Themen gesondert bereit, aber für viele Wissenschaftsjournalisten gilt der Dienst nur als „PR“ der Insitutionen.
Wenn man also so sehr die eigene Fahne nach dem Wind dreht, sollte man sich nicht Wundern, wenn sie irgendwann mal auch die eigene Sicht behindert.
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