In Corona-Zeiten hat die Wissenschaft in Deutschland eine Bürgernähe gewonnen wie nie vorher: Virologen wurden so bekannt wie Popstars. Diese Erfahrung gibt Gelegenheit für die Wissenschaftskommunikation, neue Zielgruppen und Wege der Kommunikation stärker in den Fokus zu rücken. Dr. Steffi Ober, Teamleiterin Ökonomie und Forschungspolitik beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) und Initiatorin der Plattform Forschungswende, die sich für einen Austausch von Zivilgesellschaft und Wissenschaft einsetzt, zeigt in ihrem Statement beim Hearing „Wissenschaftskommunikation“ des Bundestags-Forschungsausschusses die Bedeutung von Zivilgesellschaft und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) – ein Gastbeitrag.

Dr. Steffi Ober, Teamleiterin Ökonomie und Forschungspolitik beim NABU und Initiatorin der zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende, fordert, dass Wissenschaftskommunikation stärker die Zivilgesellschaft und ihre Organisationen – NGOs – in den Blickpunkt nimmt.
Wissenschaftskommunikation – wichtiger denn je
Die vergangenen Wochen und Monate haben viele Menschen damit konfrontiert, dass Wissenschaft ihr Leben beeinflusst. Das neue Virus Sars-CoV-2 zeigt uns allen im Brennglas, wie Wissenschaft funktioniert: sie geht analytisch vor, sammelt und bewertet Daten und formuliert vorläufige Erkenntnisse unter Unsicherheit. Je mehr wir wissen, je mehr Erfahrungen wir mit dem Virus sammeln, umso besser können wir einerseits das Wissen absichern. Und umso mehr sehen wir, was wir noch nicht verstehen.
Das macht es für viele Menschen so schwierig – sie bekommen in unsicheren Zeiten keine einfachen Antworten, sondern komplexe Zusammenhänge unter dem Menetekel der Vorläufigkeit. Wissenschaftler haben Hochkonjunktur in Talk Shows und Blogs. Doch statt der erhofften Eindeutigkeit gibt es auch hier Widersprüchliches und Vorläufiges zu hören. Verängstigung und Rückzug sind die Folge – und zunehmend auch Widerspruch und offener Protest. Wie können Wissenschaft, Politik und Gesellschaft hier noch besser zur gemeinsamen Bewältigung der Krise beitragen?
Zum einen: Aufbau einer aktiven Zivilgesellschaft. Eine Zivilgesellschaft, die eingebunden ist in Citizen Science- und Reallabor-Projekte. Eine Zivilgesellschaft, die vertraut ist mit der Arbeitsweise der Wissenschaft, die sich geübt hat in der Bewältigung von Komplexität, Unsicherheit und Risiko. Vereine und Verbände, klassische Intermediäre dienen hier als aktive Vermittler der notwendigen Kompetenzen und Übersetzungsarbeit. Dies ermöglicht langfristig eine aktive Solidarität statt Verängstigung und Rückzug: Was bedeutet das? Die Menschen vor Ort, in lokalen und regionalen Kontexten verstehen sich als Reallabor und definieren gemeinsam mit der Wissenschaft die Bedingungen, um das Virus zu kontrollieren.
Wer darf wann in die Kita, die Schule oder ins Museum? Wie kontrollieren wir die Zu- und Abgänge ins Theater und Kino? Oder wie organisieren wir das Schwimmbad im Sommer? Oftmals sind die BürgerInnen und Familien viel kreativer und technisch versierter, als ihnen zugetraut wird. Und sie könnten so vor Ort lernen, Vorläufiges zu probieren, zu revidieren und bestmöglich abzuwägen. Das wäre gelebte Wissenschaftskommunikation und Partizipation.
Zum anderen: Die Corona Krise als Chance nutzen: um zu erfahren, wie Wissenschaft, Politik und Gesellschaft Hand in Hand arbeiten, um ein Problem zu lösen. Dies ist uns vorerst ganz gut gelungen. Wir sollten diese Erfahrung nutzen, um zu erkennen, dass wir den Menschen, uns als Gesellschaft, viel mehr zutrauen können an einschneidenden Maßnahmen, um den Klimawandel zu stoppen und die Biodiversität nicht ganz zu verlieren. Die Wissenschaft kann uns Optionen und Wege aufzeigen – gehen müssen wir sie gemeinsam, vorläufig, stolpernd, irrend. Aber genau das ist der Modus der Wissenschaft.
Wissenschaftskommunikation sollte nicht länger entweder wissenschaftliche Publikationen für das Fachpublikum oder Hochglanzbroschüren für die Allgemeinheit präsentieren, sondern die Menschen mitnehmen in ihrem Prozess des Fragens und Forschens. Das gelingt z.B. Prof. Drosten in seinem Podcast zu Corona hervorragend, in dem er Fragen stellt, Daten und Publikationen einordnet und bewertet und Irrtümer und Bewertungsänderungen nachvollziehbar werden lässt. Für den Klimawandel müsste sich ein solches Format noch etablieren, doch die äußeren Anlässe wie Dürren und Überschwemmungen nehmen auch hier zu.
Wissenschaftskommunikation wird dann relevant, wenn sie Menschen vor Ort in ihren konkreten Zusammenhängen einbindet. Dies kann über Szenarien- und Zukunftsworkshops vor Ort passieren, in denen sie erleben können, wie der Klimawandel sich in ihrer Region auswirken wird und was sie dagegen tun können. Oder durch gezielte Kommunikation der Intermediäre, der Verbände und Vereine, die Themen mit ihren Interessen zusammenbringen. So erreicht die Arbeiterwohlfahrt in ihrer Kommunikation zur Energiewende gewiss andere Kreise als die üblichen Umweltverbände.
Zusammenfassend geht die Aufforderung an die Politik, gesellschaftlich robuste Wissenschaftskommunikation im lebendigen Austausch mit der Gesellschaft nahe an ihren Fragen und Bedarfen zu etablieren und zu fördern. Dies muss mit ausreichend Ressourcen für Wissenschaft, Intermediäre und Formate (wie Reallabore) hinterlegt werden.
Status quo Wissenschaft und Partizipation
Im Folgenden werde ich unsere Position zu den aktuellen Politikstrategien der Bundesregierung hinsichtlich Partizipation und Kommunikation erläutern.
Der Koalitionsvertrag 2018 stellt sowohl die Wissenschaftskommunikation als auch neue Beteiligungsformen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft in Aussicht.
„Wir wollen den Dialog von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft intensivieren, neue Beteiligungsformen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft erproben und die Wissenschaftskommunikation stärken“, heißt es in der Hightech-Strategie.
Herausgekommen ist ein breiter Strauß an Themenfeldern von Wissenschaftskommunikation im eigentlichen Sinn bis hin zu Partizipation mit Citizen Science. Doch nach einer grundlegenden methodischen Weiterentwicklung von Ansätzen einer Transdisziplinären Wissenschaft oder Reallaboren sucht man bislang vergebens. Reallabore probieren eine Intervention, also eine Neuerung wie beispielsweise ein neues Mobilitätskonzept für eine Kommune vor Ort aus. Einbezogen werden in dieses Reallabor alle Akteure, also neben der Wissenschaft, die die Intervention einbringt und wissenschaftlich begleitet, auch die Verwaltung, die Bürger, die Verkehrsbetriebe etc. In einem Reallabor kann man erproben, ob und wie eine Transformation funktioniert. Stattdessen wurde in den Haushaltsberatungen für 2020 in einer Nacht und Nebelaktion ausgerechnet die Finanzierung der Reallabore zur Energiewende im BMWI drastisch gekürzt.
Wie soll so der Auftrag des Koalitionsvertrages erfüllt werden, wie über Partizipation ein „wachsendes Verständnis für Notwendigkeiten im Forschungsprozess, die wissenschaftliche Einordnung von Reichweite und Unsicherheit von Forschungsergebnissen sowie letztlich auch eine Steigerung der Akzeptanz von neuen Erkenntnissen“ zu fördern, wenn entscheidende Pfeiler gekürzt werden? Gewiss nicht über Frontalbelehrung, wie es sich in der Bildsprache des BMBF zur Hightech-Strategie darstellt, die einen männlichen Wissenschaftler erklärend und dozierend vor Publikum zeigt.
Wie kann gesellschaftlich robuste Wissenschaftskommunikation gelingen? Anforderungen an eine transdisziplinäre Wissenschaft und Partizipation
Es bedarf eines Umdenkens im Umgang von Wissenschaft und Gesellschaft. Das dominante Narrativ für Innovation und Forschung lautet nach wie vor, dass sich allein mit Innovation und Technik die großen Probleme wie der Klimawandel oder Übernutzung der Rohstoffe und der natürlichen Senken lösen lasse. Ein systemischer Blick und eine ergebnisoffene Lösungssuche, wie eine demokratische Transformation einer Industriegesellschaft sozial ausgewogen und in den planetaren Grenzen gelingen kann, fehlt in einer dominanten Strategie, die konsequent auf Wachstum und Standortsicherung fixiert ist. In einer Welt, die von einem hohen Maß an Komplexität, Unsicherheit und Mehrdeutigkeit geprägt ist, reicht Agenda-Setting und Politikberatung wie sie sich in der Hightech-Strategie und der Besetzung des Hightech-Forums widerspiegelt, nicht mehr aus. (Zur Notwendigkeit von neuen Formen der Politikberatung das Gutachten der Europäischen Akademien der Wissenschaften: SAPEA (2019): Making Sense of Science. White Paper for the European Community and the Science Advise Mechansims (SAM). Brüssel 2019).
Wirkung lässt sich nur mit einer adäquaten und gesellschaftlich robusten ressortübergreifenden Forschungsstrategie und dem Einbezug der Gesellschaft erzielen. Nur so können Wissenschaft und Praxis gemeinsam sozial robuste Lösungen erarbeiten, die sich dann in gesellschaftlichen Innovationsprozessen niederschlagen. Wissenschaftskommunikation ist nicht etwas, was am Schluss auf die Forschung folgt, vielmehr ist sie in transdisziplinären Prozessen Teil des gesamten Projektverlaufes, da immer wieder der Austausch mit den Betroffenen und den Praxispartnern erfolgt. Folgendes bedarf es dazu:
- Wissenschaftliche Beratergremien wie das Hightech-Forum oder der Bioökonomie-Rat werden transdisziplinär besetzt. Ein Hightech-Forum, das sich nur aus Wissenschaft und Wirtschaft speist, lässt relevante Wissensressourcen ungenutzt und läuft Gefahr, Werte- und Interessenskonflikte nicht oder zu spät zu erfassen.
- Ob Wissenschaft und Forschung Wirkung erzielen, hängt stark davon ab, ob sie mit einem gesellschaftlich geteilten Problemverständnis starten und sich daraus das notwendige Engagement für die Umsetzung ergibt.
- Das Innovationsverständnis muss über lineare Einzellösungen hinaus gehen, systemisch kulturelle, ökonomische, soziale und technologische Ansätze integrieren.
- Innovation und Zukunfts-Vorsorge gehören für eine Nachhaltige Entwicklung zusammen und müssen gemeinsam weiterentwickelt werden. Ökologische und soziale Grenzen sind nicht nur Herausforderungen sondern auch Inspiration für relevante Forschungsansätze und das Denken in Alternativen.
- Die Umsetzung der aktuellen Hightech-Strategie, insbesondere der partizipativen Vorhaben, bedarf transparenter Prozesse und Strukturen. Die Ergebnisse partizipativer Prozesse müssen in den politischen Prozess wieder einfließen. Partizipation ohne Auswirkung auf Forschungsagenden und -Umsetzung macht keinen Sinn.
- Der Dialog mit der Gesellschaft erfolgt systematisch. Bisher geschieht dies höchstens punktuell und konsultativ. Echte Deliberation kann in diesem Setting nicht erfolgen, weil Ressourcen und Machtoptionen ungleich verteilt sind und verteilt bleiben. Es braucht das Empowerment von Zivilgesellschaft: als Forschende und Diskurspartner.
Bürgerschaffenwissen (Citizien Science) und Forschungswende (Transdisziplinarität) sind zwei grundsätzlich unterschiedlich aufgebaute Plattformen mit ganz anderen Zielsetzungen. Die zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende setzt sich bottom up aus seinen Mitgliedern und Partnern aus der organisierten Zivilgesellschaft (Umweltverbände, Wissenschaftsverbände, Sozialverbände) zusammen. Ziel dieser Plattform ist das Empowerment der Verbände, um sich zum einen in der transdisziplinären Forschung als auch im Agendasettting für Forschung einzubringen. Hier geht es um Partizipation, die Einfluss nehmen will, sowohl auf die Forschung als auch das Agendasetting mit dem Ziel, zu einer gesellschaftlich robusten Forschung und Forschungsagenda beizutragen. Denn Wissenschaft und Forschung gestalten Gesellschaft heute und in Zukunft. Klimawandel, Ressourcenübernutzung oder die Probleme der Welternährung betreffen Menschen und Politik so grundlegend, dass neben Systemwissen (wie funktioniert das?) auch Zielwissen (wo wollen wir hin?) und Transformationswissen (wie kommen wir da hin?) unverzichtbar sind. Zielwissen ist normativ und Transformationswissen durch Erfahrung gewonnen. Gerade diese Wissensbestände finden sich in der Zivilgesellgesellschaft und sollten über einen transdisziplinären Forschungsprozess bis zum transdisziplinären Agendasetting institutionell hinterlegt werden.
Die organisierte Zivilgesellschaft stellt eine breite Vielfalt an Personen und Standpunkten dar, die diverse Wissensbestände fundiert und durchdacht einbringen und dann auch in der gesellschaftlichen Umsetzung begleiten könnten. Allerdings sind zivilgesellschaftliche Organisationen in der Wissenschafts- und Forschungspolitik mit ihren vielen Foren und Agendasettingsprozessen völlig unterrepräsentiert und – das kommt erschwerend hinzu – finanziell nicht in der Lage, den dominanten Industrieinteressen angemessen Paroli zu bieten.
Sowohl die Zivilgesellschaft als auch die nachhaltigkeitsorientierten Wissenschaftseinrichtungen befinden sich mit ihrem transdisziplinären Ansatz weitgehend in der Nische, oftmals prekär bis gar nicht finanziert für ihr gesellschaftliches Engagement in der wissenschaftlichen Politikarena. Eine Bündelung der Interessen und damit mehr Schlagkraft, Sichtbarkeit aber auch inhaltliche Substanz für eine transdisziplinäre Wissenschaft für und mit der Gesellschaft ist notwendig, um die bestehenden Machtverhältnisse und immer wieder auch Rückschläge in der Repräsentation der Zivilgesellschaft zu überwinden und um Nachhaltigkeit im politischen Diskurs durchzusetzen.
Deshalb bräuchte es hier eine institutionell geförderte Plattform, die eine aktive Teilhabe der Zivilgesellschaft am forschungspolitischen Agendasetting bis hin zu Projekten ermöglicht. Eine solche Plattform schafft Dialogräume, in denen Wissenschaft mit zivilgesellschaftlichen Organisationen interagieren kann, um von- und miteinander zu lernen. Denn Transformation kann nur dann gelingen, wenn es offene Lern- und Reflexionsräume gibt.
Die Hightechstrategie 2025 – ein gelungener Ansatz für mehr Partizipation?
„Die Bundesregierung hat mit der Hightech-Strategie 2025 (HTS) einen Rahmen geschaffen, um innovative Formen der Zusammenarbeit zu fördern und mehr Menschen bei der Entstehung von Innovationen einzubeziehen“.
Beginnen wir mit dem Hightech-Forum, das mit einem Rückschritt hinsichtlich gesellschaftlicher Beteiligung gestartet ist. Das Hightech-Forum ist in dieser Legislatur ja entgegen den Empfehlungen der letzten Legislatur ohne die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure aufgesetzt. Die Zivilgesellschaft wird „multifunktional“ von den beteiligten Wissenschaftlern mitgedacht. Oder in Beteiligungsprozessen konsultiert, die sie jedoch weder in der Planung, Auswertung noch Bewertung beeinflussen können.
Die HTS 2025 führt aus: die “Tradition des Dialogs setzen wir konsequent fort und bauen sie mit neuen, partizipativen Formaten aus. Von der Einbindung der Zivilgesellschaft in Agendasetzung und in Dialogformate bis hin zu eigenständigen Forschungsaktivitäten und –vorhaben aus der Zivilgesellschaft heraus.”
Völlig unklar bleiben jedoch die konkreten Formate, die Kriterien der Auswahl von Mitgliedern bzw. Teilnehmenden und die Weiterverarbeitung der Ergebnisse innerhalb der Bundesregierung, um die Wirksamkeit der Partizipation deutlich zu machen. Zivilgesellschaft als forschenden Akteur zu betrachten ist überfällig und muss in der Programmgestaltung konsequent umgesetzt werden – was bedeutet, Zivilgesellschaft als antragstellende Institution zuzulassen. Eingegliedert unter einer Überschrift „Wissenschaftskommunikation und Partizipation“ drängt sich jedoch der Gedanke auf, nur Ideengeber sein zu dürfen, dem dann das Heft des Handelns wieder aus der Hand genommen wird.
In der Hightech-Strategie 2025 setzt sich die Bundesregierung neue Ziele zur Bewältigung der globalen Herausforderungen: Sie will „Wissen zur Wirkung“ bringen, wofür es einen „Schulterschluss zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik“ brauche, um „kreative Antworten auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden.“ Allerdings bleibt die Strategie in einer technisch-ökonomischen Rahmung auf sehr traditionellen Pfaden und mit einem Beratergremium aus Wissenschaft und Wirtschaft hinter dem Ansatz des letzten Hightech-Forums zurück.
Dieser Gastbeitrag basiert auf der schriftlichen Stellungnahme von Dr. Ober zur Expertenanhörung des Forschungsausschusses am 27. Mai 2020. Hervorhebungen durch die Autorin.
Posted on 8. Juni 2020
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