„Mehr Gesellschaft lernen!“ – Treffpunkt Wissenschaftskommunikation #WisskomMUC

Posted on 13. April 2021

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Kommunikationswissenschaftler und Generalsekretär der VolkswagenStiftung Dr. Georg Schütte fordert, Wissenschaftler besser auf die „öffentliche Arena“ vorzubereiten.

Virtuell, für alle erreichbar: Dr. Georg Schütte, Generalsekretär der VolkswagenStiftung beim „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“.

Wissenschaftler sind eigentlich ganz normale Menschen. Sie gehen – meist mit großer Begeisterung – ihrer Arbeit nach, zahlen Steuern, wählen ihre Abgeordneten, haben Unterhaltung in Theatern, Kinos und Konzerten, schicken ihre Kinder in die Schulen, engagieren sich in Vereinen oder beim Roten Kreuz – so wie alle anderen Bürger auch: Eben ganz normale Mitglieder unserer Gesellschaft.

Doch wenn es darum geht, diese Gesellschaft zu verstehen, zu der sie gehören, zu erkennen, welche Triebkräfte hinter den Kulissen wirken, wie Medien, Politik und Querköpfe ihre Entscheidungen treffen, da scheint es ganz anders zu sein: Da stehen sie wie verschreckte Kinder vor dem Wettbewerb um Aufmerksamkeit der Schlagzeilen, vor den Ränkespielen um Deutungshoheit, vor den Schlachten der politischen Entscheidungen. Da brauchen sie Hilfe, Rat und tatkräftige Unterstützung. Und das ist eine entscheidend wichtige Aufgabe der Wissenschaftskommunikation.

Darum ging es beim zehnten „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“, der noch vor Ostern virtuell über einhundert interessierte Kollegen anlockte. Gast des Abends war der Generalsekretär der VolkswagenStiftung, Dr. Georg Schütte, ein Mann, der sein Leben lang an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gearbeitet hat: Zunächst als Kommunikationswissenschaftler, dann als Forschungsmanager, zehn Jahre als Staatssekretär im Berliner Forschungsministerium und nun – seit 15 Monaten – an der Spitze des größten privaten Forschungsförderers in Deutschland. Und er hat bereits Schlußfolgerungen aus seinen Erfahrungen gezogen.

„Warum Wissenschaftskommunikation mehr Wissen braucht“, lautete der Titel sienes Impulsvortrags, an den sich eine intensive Diskussion anschloss. Gastgeber des zweiten online-Treffpunkts war das Helmholtz-Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das die technische Ausstattung für das virtuelle Meeting bereitstellte.

Schüttes Schlussfolgerung: Wissenschaft muss mehr über die Gesellschaft lernen, wie sie funktioniert, welche Kräfte in ihr wirken: „Wissenschaft muss sich weiter vertraut machen mit den Regeln und der Praxis einer medialisierten Gesellschaft.“ Zum anderen aber stellt er an die Akteure in der Gesellschaft auch die Forderung, sich mit den Regeln, Möglichkeiten und Grenzen der Wissenschaft auseinanderzusetzen, damit Brücken geschlagen werden können. Und dazu müssen Forschung zur Wissenschaftskommunikation und die Wissenschaftskommunikation selbst ihren Beitrag leisten.

Schütte stützt sich bei seinem Fazit auf die Erfahrungen von Wissenschaftlern in der Corona-Pandemie, aber auch auf seine persönlichen Erfahrungen als professioneller Medienbeobachter und Entscheidungsvorbereiter in der Politik: Forscher wurden in Corona-Zeiten so stark wahrgenommen, wie selten vorher, das Vertrauen in Wissenschaftler schnellte in der allgemeinen Orientierungslosigkeit in die Höhe, Wissenschaftler wurden regelrecht in die Öffentlichkeit katapultiert, ja die Medien feierten sie als Helden. Doch Helden – das ist Medienrealität – werden schnell auch vom Sockel gestoßen, so Schütte. (Journalisten nennen das auch Tontaubenschießen: Hochjubeln und dann abschießen.)

Doch viele der jetzt plötzlich gefragten Wissenschaftler waren darauf nicht vorbereitet. Es kam zum „Clash of Cultures“, dem Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Systemlogiken von Medien und Wissenschaft. Während es bei den einen zum großen Teil (auch hier sind die Gewichtungen nicht für alle gleich) vor allem um Aufmerksamkeit ging, ging es den letzteren vor allem um Aufklärung, um Darlegung des momentanen Kenntnisstandes und um mögliche Schlußfolgerungen daraus. Diese unterschiedlichen Prioritäten schaffen Reibungsflächen, vor denen Wissenschaftler, ohne darauf vorbereitet zu sein, oft ratlos stehen.

Prof. Christian Drosten: Beispiel für einen kommunizierenden Wissenschaftler, der Vieles richtig gemacht hat. Doch er fühlte sich von den Profis allein gelassen. (Foto: NDR)

Musterbeispiel für einen offenen , engagierten und in höchstem Maße zur Kommunikation talentierten Wissenschaftler ist sicher der Berliner Virologe Prof. Christian Drosten. Mit ihm hat sich Georg Schütte ausgiebig über die Schwierigkeiten unterhalten, denen dieser begegnete, als er sich in die öffentliche Arena begab: Er war schlicht nicht darauf vorbereitet. Es begann, als er im März 2020 versuchte, die umfassenden und anhaltenden Auswirkungen der Pandemie zu beschreiben: Auch ein Jahr später, so schilderte er plastisch, werde es wohl noch keine vollen Bundesliga-Fußballstadien geben. Die Reaktion: breite öffentlichen Aufregung, Schlagzeilen und Cassandra-Vorwürfe. (Heute, 13 Monate später sind die Stadien noch immer menschenleer, und selbst Sportmoderator Johannes B. Kerner findet daran auch Positives), es ging weiter mit Shitstorms ohne Ende in den Sozialen Medien, bis hin zu Morddrohungen und endete schließlich in einer gezielten Kampagne der BILD-Zeitung gegen ihn, mit der sie versuchte, seine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit zu untergraben.

Ein Live-Ausschnitt des „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation mit Dr. Georg Schütte, dem Generalsekretär der VolkswagenStiftung, mit den interessantesten Passagen. (26 Min.)

Mit derart feindseligen Reaktionen konnte der Wissenschaftler natürlich niczht rechnen. Schlimmer aber noch, er bekam von seiner Institution, der Charité–Universitätsmedizin, kaum Rückendeckung, so schildert es Georg Schütte. Wo waren die kommunikationserfahrenen Profis, die ihm mit Rat und Tat zur Seite hätten stehen können? „Wer nicht so rubust im Nehmen ist, wie Christian Drosten“, so Schütte, „kann in solchen Situationen auch zerrieben werden zwischen medialer Meinungsmache, zwischen politischem Druck und dem eigenen wissenschaftlichen Anspruch.“ Und Schütte zieht daraus eine bittere Bilanz des Ist-Zustandes: Wer als Wissenschaftler heute den Mut hat, sich in die öffentliche Arena zu begeben, der handelt auf eigenes Risiko. Es gibt kaum Bonuspunkte für die wissenschaftliche Arbeit (etwa für die Karriere oder Drittmittel), und vielfach nicht genug Unterstützung durch die eigene Institution.

Volles Haus – oder besser: Voller Bildschirm. Die Teilnehmer des zehnten „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ passten mit ihren Icons kaum auf einen Bildschirm.

Andererseits aber nimmt der politische und gesellschaftliche Druck auf Wissenschaftler zu, dass sie ihre Arbeit einem breiteren Publikum erklären, sie in der Gesellschaft legitimieren. Offiziell gelte zwar noch immer die von dem Soziologen Max Weber begründete Rollenverteilung, nach der die Wissenschaft berät, Handlungsoptionen aufzeigt, und die Politik dann entscheidet. Die Realität aber sei weit weniger eindeutig, meinte Schütte: Wissenschaft und Politik scheinen Hand in Hand zu arbeiten. „Da braucht es nur noch ein wenig Desinformation und schon ergeben sich schnell Verschwörungstheorien und Komplottphantasien.“ Das werfe aber die Frage auf: Wie nah darf Wissenschaft der Politik kommen, ohne ihre Unabhängigkeit zu riskieren?

Und auch da lieferte, so Schütte, die Corona-Pandemie ein Beispiel, das viele Fragen aufwirft und den Clash der Kulturen, den Zusammenprall unterschiedlicher Systemlogiken, deutlich macht: Die Heinsberg-Studie. Wissenschaftlich gesehen, ist es kein Problem, Zwischenergebnisse einer Studie mit allen Vorbehalten zu veröffentlichen. Sie werden diskutiert, geprüft, durch neue Daten ergänzt, um am Ende zu einer zuverlässigeren, besseren Erkenntnis zu gelangen. Soweit die Wissenschaft, ganz anders die politische Situation: Die ersten Zwischenergebnisse aus Heinsberg wurden gezielt wenige Tage vor einer entscheidenden Konferenz von Ministerpräsidenten und Bundesregierung veröffentlicht, bei der über Öffnungen oder weiteren Lockdown entschieden werden sollte. Und zwar bei einer Pressekonferenz der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die sich bereits für Öffnungen positioniert hatte. Vor den Wissenschaftlern sprachen zwei Politiker (der Ministerpräsident und der Landrat von Heinsberg) und gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, jetzt die Argumente für eine Öffnung der Restriktionen zu erhalten. Zusätzlich hatte schon im Vorfeld eine PR-Agentur die Arbeit der Wissenschaftler im Lichte von möglichen Öffnungen dargestellt und damit sogar Geld bei Sponsoren eingeworben. Die Vorbehalte der Wissenschaftler, wegen der Unsicherheiten des ersten Zwischenergebnises, fielen da schnell unter den Tisch, die Politiker handelten nach ihrer Systemlogik. Schütte: „Politik muß in Echtzeit entscheiden und handeln.“

Dürfen sich Wissenschaftler von Politikern instrumentalisieren lassen? Prof. Hendrik Streeck (re.) posiert mit Landrat Pusch und Ministerpräsident Laschet, bei der Präsentation der ersten Zwischenergebnisse der Heinsbergs-Studie. (Foto: NRW)

Gibt es da eine Lösung? Besteht sie etwa darin, dass sich Wissenschaft zurückzieht aus ihrer Präsenz in der Gesellschaft? Sicher nicht, gerade in einer Zeit, da faktenbasiertes Handeln auch in komplexen Situationen notwendiger ist denn je. Für VolkswagenStiftung-Generalsekretär Dr. Georg Schütte kann es nur heißen, dass Wissenschaftler bereit sind und die Motivation mitbringen, immer wieder und wieder zu erklären, wie wissenschaftliche Erkenntnis entsteht, sie einzuordnen und auch die Grenzen wissenschaftlichen Arbeitens aufzuzeigen. Es gehe darum, die Gesellschaft in die Lage zu versetzen, wissenschaftsbasierte Entscheidungen nachvollziehbar zu machen, sie mittragen zu können – „eine zutiefst demokratie-erhaltende Tätigkeit. Da müssen wir mehr tun.“

Seine VolkswagenStiftung (die völlig unabhängig ist vom VW-Konzern) hat in diesem Sinn bereits das Förderprogramm „Wissenschaftskommunikation hoch drei“ aufgelegt, das sich derzeit in der Endausscheidung befindet. Drei oder vier Zentren für Wissenschaftskommunikationsforschung sollen in Deutschland entstehen, die gezielt auch Praktiker einbeziehen sowie gesellschaftliche Kräfte. Außerdem hat sich die Stiftung ein neues Förderkonzept gegeben, in dem Wissenschaftskommunikation als Dachthema alle anderen Förderaktivitäten überspannt.

Georg Schütte sieht für die Wissenschaftskommunikation eine Schlüsselrolle im Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft. Dazu gilt es einerseits Wissenschaftler zu ermutigen und zu ertüchtigen, in die Gesllschaft hinein zu wirken. Medientraining sei notwendig aber nicht ausreichend. Es gelte vor allem, Wissenschaftler auf das vorzubereiten, was sie in der öffentlichen Arena erwartet. Das sei heute weit unterbelichtet. Es gebe eben noch Wissenschaftler mit der Hybris, die meinten, mit dem Bonus ihres Amtes („der Professor spricht…“) alles erklären zu können. Doch die jüngere Generation der Forscher sei offener für Ausbildung in Kommunikation. Die Frage aber bleibe, wie belohnt dies das System? Dennoch müsse Wissenschaftskommunikation nicht nur nach Außen, sondern auch in die Wissenschaft hinein wirken, Bewußtsein für die Bedeutung von Kommunikation fördern, Erkenntnisse aus dem Kontakt mit der Gesellschaft mit den Wissenschaftlern teilen und zeigen, wie man Kommunikation gut machen kann.

Mein Fazit: Eines scheint klar: Wissenschaft muss sich intensiver mit der Gesellschaft beschäftigen als bisher. Vor allem muss sie sich für die Vorgänge in der Gesellschaft interessieren und darauf reagieren, wenn sie weiterhin für die Gemeinschaft unentbehrlich bleiben will. Sie muss ein gesellschaftliches Bewußtsein entwickeln. Das ist eine große Aufgabe für die Wissenschaftskommunikation und für alle, die Verantwortung für die Wissenschaft tragen. Wissenschaftskommunikation muss nicht nur nach Außen wirken, Forschungsergebnisse erklären und einordnen, sondern viel stärker auch nach Innen, in die Wissenschaft hinein, damit Wissenschaftler den Mut und die Motivation aufbringen, sich der öffentlichen Arena zu stellen.

Doch es ist sicher nicht zielführend, den Wissenschaftlern Horrorszenarien vorzuspielen, etwa die Perspektive von Shitstorms oder Morddrohungen, wie sie auch vorkommen, gerade in einer gesellschaftlichen Extremsituation wie der Corona-Pandemie. Sich mit der Gesellschaft zu beschäftigen ist vor allem eine Existenznotwendigkeit für die Wissenschaft – Wissenschaft wird von der Gesellschaft getragen, und zwar in allen Aspekten. Das sollte jedem Wissenschaftler bewusst sein.

Es geht darum, Brücken zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu bauen, Wissenschaftlern die Menschlichkeit der Gesellschaft deutlich zu machen, zu der sie selbst ja auch gehören. Etwa zu erklären, dass in einer demokratischen Gesellschaft von den Menschen auch andere Ziele verfolgt werden als nur die faktisch optimale Problemlösung. Dazu gehören Werte, Gewinn, Macht, Einfluss oder ganz individuelle, persönliche Lebensentwürfe. Auch hier ist die Wissenschaftskommunikation als Mittler und Botschafter gefragt. Sie ist schließlich die Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft und sie weiß am besten: Wissenschaft funktioniert anders als die Gesellschaft, muss anders funktionieren. Und es ist gut, wenn beide Seiten stärker realisieren, dass sie und wie sie das tun.

 Der „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ #WisskomMUC

Der „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ #WisskomMUC ist eine Initiative dieses Blogs „Wissenschaft kommuniziert“. Er soll Aktive in der Wissenschaftskommunikation zusammenführen zum Erfahrungsaustausch, zum Vernetzen, zum Diskutieren über das eigene Tun, aber auch Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten mit einbeziehen. Der „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ ist in München entstanden und wandert jedes Mal zu einer anderen der vielen Münchner Wissenschaftsinstitutionen – Gelegenheit, andere Umgebungen kennenzulernen, andererseits das eigene Haus den Kollegen zu präsentieren.

Gastgeber dieses „Treffpunkts“ war das Helmholtz-Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das nicht nur in einer spannenden Präsentation die Breite und die Bedeutung dieses Forschungsfeldes zeigte, sondern auch für eine hervorragende technische Betreuung dieses Online-Treffpunkts sorgte.

Für Interessierte: Wenn Sie interessiert sind, beim nächsten „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ dabei zu sein, der am 11. Mai 2021 wieder Online stattfinden wird, von überall her erreichbar ist, dann senden Sie uns an die Mailadresse dieses Blogs eine kurze E-Mail. Wir nehmen gern neue Interessenten in den Verteiler auf.

Näheres zu den bisherigen Abenden des „Treffpunkts Wissenschaftskommunikation“ #WisskomMUC finden Sie in den Beiträgen