
Seit vor fast 50 Jahren das Bundesforschungsministerium gegründet wurde haben es nur wenige Minister geschafft, mehr als eine Legislaturperiode an der Spitze dieses Hauses zu stehen (Ausnahme ist natürlich der legendäre Heinz Riesenhuber, der elf Jahre lang als „Mister Fliege“ zum Gesicht der deutschen Forschungspolitik wurde). Insgesamt also ein Haus, das zwar langfristig wirksame Entscheidungen fällt, in dem die Entscheidungsträger aber eher auf kurzfristige politische Erfolge abzielen müssen.
Kein Wunder also, dass jetzt kurz vor Ende dieser Legislaturperiode von Ministerin Anja Karliczek als großer Erfolg gefeiert wurde – und als Umsetzung ihrer erklärten Absicht, die Wissenschaftskommunikation zu stärken – was im Grunde vor allem eine Bestandsaufnahme war: #FactoryWisskomm, eine Sammlung von Problemen und Lösungsmöglichkeiten in sechs Feldern der Wissenschaftskommunikation, an der 150 Experten fast ein Jahr in virtuellen Treffen gearbeitet haben.

Mit einer Online-Gala unter telegenen Riesensauriern im Berliner Naturkundemuseum wurden die Ergebnisse der #FactoryWisskomm der Öffentlichkeit und der Wissenschaft präsentiert: 90 Seiten voll meist wahrer Feststellungen, guter Schlussfolgerungen (natürlich „Visionen“ genannt) und zahlreicher Ideen. Doch all das kann schnell zu Makulatur werden, wenn im Herbst ein anderer Amtsinhaber den Stab im Forschungsministerium von Anja Karliczek übernimmt. Und viele der Anregungen liegen ohnehin nicht im Machtbereich des Forschungsministeriums.
Nun gut, Makulatur ist vielleicht ein zu hartes Wort, aber die Umsetzung der Vorschläge bleibt im Papier der #FactoryWisskomm völlig offen. Oft genug sind die Adressaten allgemein, nur manchmal gibt es wenigstens Selbstverpflichtungen der Beteiligten – und oft genug wurden Kernfragen der Wissenschaftskommunikation noch nicht einmal gestellt. Ohne eine stringente Weiterentwicklung, ohne engagierte Überzeugungsarbeit, durchaus auch mit politischem Druck, wird der „prall gefüllte Werkzeugkasten“ (so BMBF-Staatssekretär Christian Luft bei der Präsentation) also eher ein Stückwerk bleiben.
Ein Werkzeugkasten mit Ideen für die Wissenschaftskommunikation
Und es stellt sich natürlich die Frage: Genügt überhaupt ein gut ausgestatteter Werkzeugkasten, damit jeder ein guter Handwerker ist, der eines der Werkzeuge in die Hand nimmt, sein kann, überhaupt sein will? Diese Frage stand im Mittelpunkt des „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“, der – nur einen Tag nach der Präsentation in Berlin – die Ergebnisse der #FactoryWisskomm diskutierte. Cordula Kleidt, zuständige Referatsleiterin im Ministerium – verständlicherweise müde nach nur drei Stunden Schlaf – präsentierte und erläuterte die Ergebnisse der #FactoryWisskomm im Detail. Zusätzlich bekamen vier Protagonisten das Wort, die an der Denkfabrik des Ministeriums nicht beteiligt waren. Sie gaben ihre Sicht aus der Praxis: als Wissenschaftskommunikator Ralf Röchert vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, dort für die Strategie der Wissenschaftskommunikation zuständig, als Wissenschaftsjournalistin die Ressortleiterin Wissen der Süddeutschen Zeitung, Dr. Marlene Weiß, als Social-Media-Experte Henning Krause, seit vielen Jahren in diesem Feld tätig und Social Media Manager der Helmholtz-Gemeinschaft; und als Wissenschaftlerin die renommierte Virologin Prof. Ulrike Protzer, Leiterin der Virologie an der TU München, die für ihr Statement beim „Treffpunkt“ sogar ein Interview mit dem ZDF absagte.

Nie vorher war das Interesse am „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ so groß wie dieses Mal, genau 199 Anmeldungen waren eingegangen, teils aus dem Ausland – Schweden, Belgien und Italien – und ein Kollege hatte sich sogar aus Kolumbien zugeschaltet. Und das, obwohl gleichzeitig der internationale Kongress zur Zukunft der Wissenschaftskommunikation von Wissenschaft im Dialog (WiD) und Allea stattfand. Auch der Vorsitzende des Bundestags-Forschungsausschusses, Dr. Ernst Dieter Rossmann schaltete sich dazu. Studenten der Hochschule für Angewandte Wissenschaft (HAW) in Hamburg zeichneten unaufgefordert im „Graphic Recording“ die Diskussion optisch auf.
Doch der Reihe nach: Zunächst die „Handlungsperspektiven“, wie die Vorschläge offiziell und unverbindlich heißen, die Cordula Kleidt vortrug, gegliedert nach den sechs Arbeitsgruppen:
Die erste heißt „Kompetenzaufbau“ und schlägt vor allem vor, neue Aus- und Fortbildungsangebote für Studierende und Wissenschaftler zu schaffen, um Wissenschaftskommunikation zu lernen und zum Bestandteil guter wissenschaftlicher Praxis zu machen. Das soll im Grundstudium beginnen und für Graduierte vertieft werden. Das BMBF fördert bereits die Entwicklung eines Online-Kurses Wissenschaftskommunikation durch das Nawik (Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation) in Karlsruhe.
Nur am Rande – und natürlich nicht Bestandteil der Präsentation von Cordula Kleidt: Einerseits beklagt die Arbeitsgruppe die mangelnde Sichtbarkeit von Angeboten zum Kompetenzaufbau in Sachen Wissenschaftskommunikation. Sie hat selbst 110 Aus- und Weiterbildungsangebote in Deutschland recherchiert. Doch im Bericht der #FactoryWisskomm findet sich noch nicht einmal ein Hinweis oder Link, wo man die Ergebnisse der Recherche einsehen könnte. Dabei ist das Interesse groß, ich merke das etwa an hohen Zugriffszahlen in diesem Blog zu uralten Posts wie diesem: „Wo lernt man Wissenschaftskommunikation?“.
Wissenschaftskommunikation muss Reputation schaffen

Die nächste Arbeitsgruppe dreht sich um „Anerkennung und Reputation“. Natürlich kommt hier wieder die Forderung, Engagement für Wissenschaftskommunikation als Reputationsfaktor für die wissenschaftliche Karriere anzuerkennen (was bereits das PUSH-Memorandum der Wissenschaftsorganisationen 1999 forderte und immer noch keine Rolle spielt – soweit zu Selbstverpflichtungen). Grundlage aber soll sein, überhaupt erst einmal eine „Wissenschaftskommunikations-freundliche Kultur“ in der Wissenschaft und in den Forschungsinstitutionen zu schaffen. Richtig! Doch wie? Da lassen die Akteure der #FactoryWisskomm die Interessierten allein. Es folgt eine fünfseitige Tabelle mit 89 Einzelmaßnahmen, gezielt für die Kommunikationsfreundliche Kultur, für Personalgewinnung und Karriere, für Personalentwicklung, für Regeln und für Ressourcen. Ohne Priorisierung, ohne Ansprechpartner – Details erschlagen eine klare Linie.
Sehr viel anschaulicher geht es dagegen im Bericht der Arbeitsgruppe „Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation“ zu, zumal hier die Ansprechpartner klar sind: Kommunikationswissenschaften, Psychologie und all die anderen Wissenschaftler in den diversen Disziplinen, die sich mit Wissenschaftskommunikation beschäftigen. Gefordert werden hier: Mehr Transdisziplinarität, mehr Vernetzung, mehr internationaler Austausch und eine engere Verflechtung mit der Praxis. Eine weitere Forderung ist es, Module zur Wissenschaftskommunikation in alle Studiengänge zu integrieren sowie die Einrichtung von Masterstudiengängen zur Wissenschaftskommunikation. Letztere sollen zur Ausbildung des Forschungsnachwuchses dienen, aber auch zur wissenschaftlichen Ausbildung für das Berufsfeld Wissenschaftskommunikation.
Noch eine Randbemerkung: Einen gewaltigen Schub erhielt das Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation – ganz unabhängig von der #FactoryWisskomm – am Tag nach unserem „Treffpunkt“: Die VolkswagenStiftung entschied im Rahmen ihres Programms „Wissenschaftskommunikation hoch drei“, den Aufbau von vier Zentren der interdisziplinären Wissenschaftskommunikations-Forschung in Kiel, Dortmund/Bonn/Essen, Tübingen und München mit insgesamt 15 Millionen Euro zu fördern. Das ist mehr Geld als im Etat der Bundesregierung insgesamt 2020 für Wissenschaftskommunikation vorgesehen war (inklusive aller PR-Aktionen wie Jahr der Wissenschaft, Forschungsschiff usw.). Man darf gespannt sein, was sich da entwickelt.

Der vierte Arbeitskreis beschäftigte sich mit der „Qualität der Wissenschaftskommunikation“. Handlungsperspektiven, die er vorschlägt sind ebenso richtig wie relativ konkret. Zunächst geht es darum, dass die wichtigen Forschungsorganisationen in Deutschland zusammen mit dem Bundesverband Hochschulkommunikation und WiD Leitlinien zur Qualitätssicherung entwickeln sollen. Diese sollen dann einerseits in die Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis und andererseits in fortentwickelte Leitlinien guter Wissenschafts-PR integriert werden. Letztere sollen sich in Zukunft auch nicht nur auf Wissenschafts-PR beziehen, sondern generell für Wissenschaftskommunikation gelten.
Das Kapitel „Partizipation“ im #FactoryWisskomm-Dokument ist weniger auf konkrete Handlungen als auf Zielsetzungen ausgerichtet. Diesem Arbeitskreis geht es vor allem darum, Bürger stärker in wissenschaftliches Handeln – und damit auch wissenschaftliches Denken – mit einzubeziehen, durch mitmachen, anregen, austauschen. Es geht den Akteuren darum, neben den informierenden Formaten auch Formate in der Wissenschaftskommunikation zu etablieren, die Bürger jeder sozialen und kulturellen Herkunft mit aktivieren. Näheres dazu findet sich unten auch im Beitrag des Koreferenten Henning Krause.
Wissenschaftsjournalisten: Kritische Beobachter oder Spindoktoren?
Einen umfangreiches Kapitel gibt es – angesichts auch intensiver vorausgegangener Diskussionen – zum Thema Wissenschaftsjournalismus. Diese Arbeitsgruppe hat auch schon einen ersten Erfolg vorzuweisen: Die Joachim Herz Stiftung hat für einen Innovationsfonds Wissenschaftsjournalismus der Wissenschaftspressekonferenz (WPK) eine Förderung von 300.000 Euro zugesagt. Hier soll die Erprobung neuer Wege des Wissenschaftsjournalismus gefördert werden.
Wissenschaftsjournalismus ist natürlich eine feste Säule der Wissenschaft in der Medienlandschaft. Entsprechend sieht die #FactoryWisskomm vor allem Förderprogramme vor, die den Weg junger Wissenschaftler nach dem Studium oder nach der Promotion in den Journalismus und die Medien erleichtern. So etwa durch ein Mentoring-Programm, durch Volontariate für Postdocs, durch Journalists-in-Residence-Programme oder durch Einrichtung von sogenannten „RegioScienceDesks“, zentrale Wissenschaftsredaktionen für Lokal- und Regionalmedien.
Zwar ist am Anfang des Kapitels zu lesen, Wissenschaftsjournalismus sei eine tragende Säule als „kompetente, unabhängige, an der Gesellschaft orientierte Außenbeobachtung der Wissenschaft“, doch die vorgeschlagenen Handlungsperspektiven erwecken eher den Eindruck, Wissenschaft möchte eher die eigenen Leute in dieses Berufsfeld einschleußen, sieht Wissenschaftsjournalisten quasi als Spindoktoren für die eigenen Interessen. Von unabhängig, an der Gesellschaft orientiert oder Außenbeobachtung ist da kaum etwas zu lesen. Und die Frage, ob nicht gerade die Pandemie zum Teil drastisch gezeigt hat, dass vor allem im allgemeinen Journalismus Wissen und Verständnis über Wissenschaft fehlt und dies dringend gebraucht wird, taucht gar nicht erst auf.

Für Cordula Kleidt war der Abschluss der #FactoryWisskomm im Berliner Naturkundemuseum eher ein Beginn: „Dies war das Launch-Event für neue Handlungsperspektiven.“ Sie sieht in der #Factory eine Vernetzungsplattform zur Fortentwicklung der Wissenschaftskommunikation in Deutschland. Und schwärmt bereits von einer „#Factory 2.0“, die dann unabhängig von Legislaturperioden arbeiten soll.
Soweit also die Perspektive des Forschungsministeriums und der 150 Zuarbeiter bezüglich der Zukunft der Wissenschaftskommunikation. Die 90-seitige Dokumentation der Ergebnisse kann direkt auf der Website des BMBF heruntergeladen oder auch bestellt werden: https://www.bmbf.de/files/Factory_Wisskomm_Publikation.pdf.
Die #FactoryWisskomm war ein löblicher Prozess, das Ergebnis ein Füllhorn von Ideen und zumindest indirekt in weiten Teilen auch Problembeschreibungen über den Zustand der Wissenschaftskommunikation in Deutschland. Aber ist dies auch ein vollständiges Bild? Das wollten wir in Kurzstatements von den vier Koreferenten wissen, die – unbeeindruckt von den Diskussionen in der #FactoryWisskomm – aus ihrer Perspektive auf die Ergebnisse geschaut haben.
Perspektive 1: Die Wissenschaftskommunikatoren

Zunächst die Perspektive der unmittelbar Betroffenen, der Wissenschaftskommunikatoren. Sie vertrat Ralf Röchert, lange Jahre Sprecher des Alfred Wegener Instituts, jetzt für die Strategische Kommunikation verantwortlich. Ein Institut, das beneidenswert anschauliche Themen zu kommunizieren hat und das zudem mit einer engagierten Wissenschaftlerin und Kommunikatorin als Chefin besetzt ist, Prof. Antje Boetius, die Meeresforscherin und Vorsitzende des Lenkungsausschusses von Wissenschaft im Dialog.
Gute Wissenschaftskommunikation brauche ein hohes Maß an nichtwissenschaftlichen Ressourcen. Mit den zunehmenden Forderungen nach Kommunikation durch Wissenschaftler, so befürchtet Röchert, werde die Rolle der Forschenden überfrachtet. „Sie sind Themenexperten, sie zusätzlich zu Kommunikationsexperten zu machen, ist nicht möglich.“ Dies bestätigte später auch die Wissenschaftlerin Prof. Ulrike Protzer, die meinte, wenn sie neben Interviews für herkömmliche Medien auch noch die Social Media-Kanäle umfassend bedienen sollte, wäre sie überfordert.
Röchert rückte erst einmal die Grundlagen zurecht. Für ihn ist Wissenschaftskommunikation vor allem ein Austauschprozess zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, den die Kommunikatoren gestalten. Austauschprozess aber könne nicht bedeuten, nur Botschaften senden zu wollen. Aus seiner Sicht muss sich Wissenschaft als System verändern, um mit der heutigen Gesellschaft (die ja ganz anders ist als die Gesellschaft vor 30, 50 oder 100 Jahren) gut kommunizieren zu können. Wissenschaft müsse sich auf Themen, Rahmenbedingungen und Zuhörer einstellen. Und dieses grundlegende Bewusstsein, sich auf die Möglichkeiten und Bedürfnisse der Gesellschaft einzustellen, fehle ihm in den Ergebnissen der #FactoryWisskomm.
Perspektive 2: Die Wissenschaftsjournalisten

Die Ressortleiterin Wissen der Süddeutschen Zeitung, Dr. Marlene Weiß, übernahm die Perspektive der Wissenschaftsjournalisten. Sie sieht vor allem Probleme zwischen den Kommunikationsabteilungen und den Journalisten. Es fehle oft ein Bewusstsein für die Rolle der kritischen, unabhängigen Begleiter, die Journalisten darstellen. Bei den Medien selbst sei die Rolle der Wissenschaftsjournalisten dagegen sehr viel besser, als dies oft dargestellt werde, nicht erst seit der Pandemie. Wissenschaftsjournalisten würden bei Qualitätsmedien wichtig genommen, es werde in diesem Feld investiert.
Sie befürchtet, dass schlechte Kommunikation letztendlich auf die Qualität wissenschaftlicher Erkenntnisse zurückfällt. Als Beispiel nannte sie die Heinsberg-Studie am Beginn der Corona-Pandemie und ihre missglückte Kommunikation. Insgesamt glaubt Marlene Weiß an eine „großartige Zukunft“ für den Journalismus. Derzeit befinde er sich allerdings in einer Phase des Umbruchs und der Unsicherheit, vor allem der Knappheit an Ressourcen. Einen Mangel an jungen Wissenschaftsjournalisten sieht sie nicht, allerdings sei gegenwärtig die Auftragslage für Freie ein Flaschenhals.
Perspektive 3: Social Media

Ein Begriff fiel bisher im Bericht über #FactoryWisskomm-Ergebnisse überhaupt nicht: Social Media. Dabei werden die Plattformen im Internet mehr und mehr zum wichtigen Informationsmedium der heute noch jungen und ständig weiter heranwachsenden Generation. Ein Experte für Social Media und Wissenschaft ist sicher Hennig Krause, der sich seit vielen Jahren für diese Plattformen engagiert, sie mit gestaltet und für die Helmholtz-Gemeinschaft als Social Media Manager tätig ist.
In seinem Koreferat zitierte er erst einmal einen Absatz aus dem #FactoryWisskom-Ergebnispapier: „Auch die Ausrichtung der partizipativen Wissenschaftskommunikation muss überdacht werden. Zu oft ist sie noch ausschließlich als Topdown-Prozess aus der Wissenschaft und/oder Politik heraus angelegt. Wie können daneben auch Bottom-up-Vorschläge und Teilhabewünsche aus der Gesellschaft berücksichtigt werden, die nicht von der Wissenschaft initiiert worden sind (sogenannte unaufgeforderte Partizipation)?“
Es ist – und da hat Henning Krause wohl recht –– der einzige Satz aus den #FactoryWisskomm-Ergebnissen, der in Richtung Social Media interpretiert werden kann. Neun Zeilen in einem 90-Seiten-Dokument. Krause ist das zu wenig Wertschätzung für die Amateur-Wissenschaftskommunikation, die im Internet in Foren, Blogs, Twitch und anderen Plattformen stattfindet. #FactoryWisskomm wende sich an institutionelle und journalistische Absender. Im Kapitel „Partizipation“ werde auch nicht die Frage angesprochen, wer Eigentümer von Partizipations-Prozessen sei. Wie selbstverständlich gehe man davon aus , dass dies die wissenschaftlichen Institutionen sind. „In den Social Media sind wir da weiter, auf Augenhöhe“, hielt Krause dem entgegen. Denn die Prozesseigentümer sind keineswegs immer wissenschaftliche Institutionen. Das sei kein Nachteil, denn viele der Akteure sind eben nicht wissenschaftsleugnende „Querdenker“, sondern sehr wohl „Geradeausdenker“. Die Chance der nicht-professionellen Amateure der Wissenschaftskommunikation dürfe sich die Wissenschaft nicht entgehen lassen.
Krause vermisste zudem in den Vorschlägen der #FactoryWisskom die Gründung einer schnellen Eingreiftruppe der Wissenschaftskommunikation, die sofort reagieren kann, wenn falsche Informationen durch die Medien schwirren oder schneller Informationsbedarf besteht.
Perspektive 4: Die Wissenschaftler

In der vierten Perspektive ging es schließlich um die Personen, um deren Arbeit sich in der Wissenschaftskommunikation alles dreht: die Wissenschaftler. Koreferentin war eine Wissenschaftlerin, die durch die Corona-Pandemie auf die Bildschirme gehoben wurde und viele Menschen sachlich und unaufgeregt über die teuflischen Viren informiert hat: Die Virologin Ulrike Protzer, Leiterin der Virologie der TU München. Sie hat, wie sie gleich einräumt, das Kommunizieren mit einer breiten Öffentlichkeit nicht gelernt, musste sich an ihre Schulzeit zurückerinnern, als sie andere bei der Mathematik unterstützt hat, wo es auch um die richtige Umsetzung komplexer Sachverhalte ging. Diesen Spagat der Analogien schafft nicht jeder.
Sie hat rückblickend in der Pandemie vor allem fünf Missverständnisse in der Wissenschaftskommunikation ausgemacht, die es abzustellen gilt, von Wissenschaftlern, von Kommunikationsprofis und von Bürgern:
- Es ist falsch, wie viele Wissenschaftler glauben, dass Dinge automatisch falsch werden, wenn man sie vereinfacht. Das richtig zu machen müsse aber im Studium vermittelt werden.
- Der wissenschaftliche Fachdiskurs ist für die Öffentlichkeit verwirrend, wird als Kakofonie oder Uneinigkeit der Forscher missverstanden. Diskursives Denken ist in der Gesellschaft nicht verwurzelt. Wissenschaftler sollten sich daher konzilianter in der Öffentlichkeit äußern.
- Der Peer Review-Prozess ist nicht allgemein geläufig. Er ist in der Wissenschaft extrem wichtig zur Qualitätssicherung, in der Pandemie wurde er aus Zeitgründen oft übersprungen. Dann seien in der Öffentlichkeit und von Journalisten aber Ergebnisse vor und nach einem Peer Review nicht deutlich genug unterschieden worden.
- Wissenschaftler wurden oft nach politischen Entscheidungen gefragt. Aufgabe der Wissenschaftler ist es aber, Erkenntnisse zu gewinnen und zu interpretieren. Über das Handeln entscheiden die Politiker. Das ging oft durcheinander.
- Ihre 21 jährige Tochter brachte sie darauf, als sie gerade ein Interview mit dem ZDF verabredet hatte: „Das guckt doch keiner“, und machte ihr deutlich, dass die jüngere Generation längst andere Medien nutzt, nämlich Social Media. Es sei eine falsche Arroganz, zwischen hochklassigen und geringeren Medien zu unterscheiden: „Man muss alle bedienen, wenn es darum geht, Dinge verständlich zu machen.“
Danach schlug die Diskussion hoch. Cordula Kleidt kam kaum beim Mitschreiben von Anregungen nach. Nach über einer Stunde endete die Diskussion mit dem Networking in den Breakout-Sessions.
Mein Fazit: Ursprünglich war der #FactoryWisskomm-Prozess als Denkfabrik auf Leitungsebene der deutschen Wissenschaftsinstitutionen geplant. Davon ist am Ergebnis und seiner Präsentation nicht mehr viel zu merken. Bei der Langsamkeit, mit der Wissenschaftler in Deutschland auf Veränderungen in der Gesellschaft und die zunehmende Notwendigkeit zur Kommunikation reagieren, bleibt bald als einzige Hoffnung, topdown eine kommunikationsfreundliche Kultur der Wissenschaft zu implementieren. Doch dazu bräuchte es überzeugte und engagierte Präsidenten, Direktoren und Institutschefs. Viele gaben ihre Namen her für Repräsentation als „Themenpaten“, aktiv geworben für die Gedanken der #FactoryWissskomm haben sie kaum (kleine Ausnahme: DFG-Präsidentin Prof. Katja Becker), bei der Präsentation der Ergebnisse blieben sie unsichtbar: nur nicht identifizieren.
Wenn Wissenschaft besser mit der Gesellschaft kommunizieren will – und das ist langfristig eine Existenznotwendigkeit für sie – braucht es einen Kulturwandel in der Wissenschaft, so wie Ralf Röchert das ansprach und andere vor ihm. Ein Kulturwandel aber funktioniert nur durch Engagement der Leitungsebene, die sich wieder einmal „vornehm“ zurückgehalten hat – und durch effektive interne Kommunikation (ein weiteres Defizit der#Factory).
Dennoch die Denkfabrik hat viele Ideen gebracht, Aufgaben für viele Beteiligte, die leider viel zu selten beim Namen genannt und damit auf eine Verpflichtung festgenagelt wurden. Eines der häufigsten Worte in dem Ergebnisbericht ist das wunderschön unverbindliche Wort „sollte“.
Gute Ideen und Vorschläge sind toll. Sie nützen aber nichts, wenn niemand sie aufgreift und in die Praxis umsetzt. Der „Werkzeugkasten“ #FactoryWisskomm ist voll, auch wenn wichtige Gewerke nur schlecht oder gar nicht vertreten sind. Jetzt fehlen die Handwerker, die all das auch realisieren.
Der „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ #WisskomMUC

Der „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ #WisskomMUC ist eine Initiative dieses Blogs „Wissenschaft kommuniziert“. Er soll Aktive in der Wissenschaftskommunikation zusammenführen zum Erfahrungsaustausch, zum Vernetzen, zum Diskutieren über das eigene Tun, aber auch Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten mit einbeziehen. Der „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ ist in München entstanden und wandert jedes Mal zu einer anderen der vielen Münchner Wissenschaftsinstitutionen – Gelegenheit, andere Umgebungen kennenzulernen, andererseits das eigene Haus den Kollegen zu präsentieren.
Gastgeber dieses „Treffpunkts“ war die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften „acatech“, die auch für eine hervorragende technische Betreuung dieses Online-Treffpunkts sorgte.
Für Interessierte: Wenn Sie interessiert sind, beim nächsten „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ dabei zu sein, dann senden Sie uns an die Mailadresse dieses Blogs eine kurze E-Mail. Wir nehmen gern neue Interessenten in den Verteiler auf.
Näheres zu den bisherigen elf Abenden des „Treffpunkts Wissenschaftskommunikation“ #WisskomMUC finden Sie in diesen Beiträgen
- „Das Paradox der Wissenschaftskommunikation“, Kommunikationsforscher Prof. Dietram Scheufele;
- „Die Kluft zwischen Logik und Empathie“, Journalist Richard Gutjahr;
- „Ein Clash der Kulturen“, Pressesprecherin Dr. Stefanie Seltmann;
- „Wie Vertrauen entsteht und vergeht“, Psychologe Prof. Rainer Bromme;
- „Mehr Verantwortung für die Wissenschaftskommunikation!“, Wssenschaftskommunikator Markus Weißkopf;
- „Wenn der Fisch keine Würmer mag“, Kommunikationsforscherin Prof. Anette Leßmöllmann;
- „Falsche Zielgruppen: Erreichen wir die Richtigen?“, Kommunikationsforscher Prof. Mike Schäfer;
- „Auf der Suche nach Orientierung“, Podiumsdiskussion mit Kommunikationsstudentin Helena Gennutt;
- „Von Digital zu Linear: Der neue Wissenschaftsjournalismus“. Wissenschaftsjournalistin Jeanne Rubner;
- „Mehr Gesellschaft lernen!“, Dr. Georg Schütte, Generalsekretär der VolkswagenStiftung;
- „Das gezinkte Glückspiel der Daten“, Datenexperte Prof. Jürgen Pfeffer, Hochschule für Politik der TU München.
Christoph Uhlhaas
6. Juli 2021
Danke für diesen lesenswerten, pointierten Rundumschlag.
Aus Sicht eines AG-Sprechers innerhalb der Factory (AG Wissenschaftsjournalismus) lesen sich die Ausführungen zum Journalismuskapitel freundlich, zumeist zutreffend zusammengefasst. Stellenweise führen sie aber zu fast schon lustigen Missverständnissen:
Herr Korbmann schreibt über „die vorgeschlagenen Handlungsperspektiven“ der AG: „Von unabhängig, an der Gesellschaft orientiert oder Außenbeobachtung ist da kaum etwas zu lesen.“
Die von ihm vermissten Begriffe hat er kurioserweise 1:1 aus dem #Factory-Papier übernommen und zitiert diese auch kurz zuvor.
Im #Factory-Papier kommen sie prominent und fast überdeutlich vor:
„Wissenschaftsjournalismus bildet eine unabhängige, tragende Säule guter Wissenschaftskommunikation, weil er die Gesellschaft durch kompetente, unabhängige, an den gesellschaftlichen Erwartungen orientierte Außenbeobachtung der Wissenschaft dabei unterstützt, wissenschaftliche Entwicklungen nachzuvollziehen, zu bewerten und zu berücksichtigen.“ (Einleitung der Factory, von allen Beteiligten getragen)
Dann später noch mal „Wissenschaftsjournalismus ist systemrelevant für gute Wissenschaftskommunikation. Nur er kann eine kompetente, unabhängige, an den gesellschaftlichen Erwartungen orientierte Außenbeobachtung der Wissenschaft leisten“
…und dann noch mal im Kapitel selber „Er [Wissenschaftsjournalismus] leistet eine kompetente, unabhängige, an den gesellschaftlichen Erwartungen orientierte Außenbeobachtung der Wissenschaft. Diese Aufgaben können weder gut gemeinte noch gut gemachte Kom-munikationsangebote aus der Wissenschaft heraus erfüllen: Sie können die Perspektive unabhängiger Außenbeobachtung funktional nicht ersetzen.“
Später schreibt er: „Und die Frage, ob nicht gerade die Pandemie zum Teil drastisch gezeigt hat, dass vor allem im allgemeinen Journalismus Wissen und Verständnis über Wissenschaft fehlt und dies dringend gebraucht wird, taucht gar nicht erst auf.“
Doch, die Frage taucht auf, und in der Passage ist bewusst nicht verengt von Wissenschaftsjournalismus die Rede: „Gerade in den Monaten der COVID-19-Pandemie war und ist Qualitätsjournalismus über alle einschlägigen Wissenschaften besonders stark gefragt.“ Die Idee der Arbeitsgruppe, mit RegioScienceDesks Qualitätsjournalismus über Wissenschaft in Regionalmedien zu stärken, zielt genau auf das Problem, dass dort in den seltensten Fällen Wissenschaftsredakteure oder sogar Wissenschaftsredaktionen vorhanden sind. Sogar die Forschung (über Wissenschaftsjournalismus) soll in der Frage unterstützen: „Sie kann auf Basis dieser Erkenntnisse dabei helfen, positive Entwicklungen wie die stärkere Vernetzung des Wissenschaftsjournalismus mit anderen journalistischen Bereichen, etwa Politik und Wirtschaft, in die „Nach-Corona-Zeit“ zu tragen – Wissenschaftsjournalismus ist wichtig in allen Ressorts
Herr Korbmann schreibt, die Passagen zu Volos für Postdocs und Mentoringprogramme „erwecken den Eindruck“, die Wissenschaft wolle „eigene Leute“ in das Berufsfeld des Wissenschaftsjournalismus schleusen“: Es ist ja eher typisch, dass Wissenschaftsjournalist*innen sich nach dem Studium oder nach der Promotion für den Wissenschaftsjournalismus entscheiden, sie tun das nicht als Agenten der Wissenschaft. Die Idee der Arbeitsgruppe ist, Volontariate am Science Media Center zu ermöglichen, das Unabhängigkeit sichert und als journalistischer Intermediär ohnehin eine wichtige Rolle spielen sollte.
Besonders wichtig für die von Herrn Korbmann aufgeworfenen Fragen ist eine Anregung der AG, für die es in den kommenden Jahren eine Lösung geben sollte, die im Beitrag von Herrn Korbmann fehlt: dass Strukturen entstehen, die Kooperation, Unterstützung und auch Förderung von Wissenschaftsjournalismus unter Wahrung der Unabhängigkeit strukturell erleichtern und ermöglichen:
Hierzu aus dem #Factory-Papier: „Eine Grundbedingung ist die Wahrung journalistischer Unabhängigkeit. Über klug angelegte intermediäre Strukturen kann diese Unabhängigkeit gewahrt und verankert werden. Unabhängigkeit muss in doppelter Weise sichergestellt sein: gegenüber öffentlichen und privaten Geldgeber:innen ebenso wie gegenüber der Wissenschaft als Objekt wissenschaftsjournalistischer Außenbeobachtung. Ein Beispiel, wie Unabhängigkeit gewahrt bleiben kann, gibt die Wissenschaft selbst. Sie erhält öffentliche Mittel, vergibt diese aber eigenständig und nach wissenschaftlichen Kriterien.“
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Reiner Korbmann
7. Juli 2021
Lieber Herr Uhlhaas, wir kennen und schätzen uns. Umso lieber streite ich mit Ihnen, wenn wir einmal nicht einer Meinung sind.
Sie haben recht: Es ist im #FactoryWisskomm-Papier viel zu lesen von unabhängigem Journalismus. Sie zitieren hier ausgiebig aus den eigentlich selbstverständlichen Erklärungen, die sich ja schon aus dem Grundgesetz ergeben. Die vorgeschlagenen Handlungsperspektiven, die ja dazu dienen sollen, diese Grundsatzerklärungen in die Realität umzusetzen, lassen davon aber nichts zu spüren. Ich hätte besser „spüren“ schreiben sollen als „lesen“.
Ja, ich habe bewusst die Zielsetzung aus dem #FactoryWisskomm-Papier zitiert, um dann die Handlungsperspektiven an den eigenen Maßstäben zu messen. Da kam eben nicht viel.
Was unsere Gesellschaft braucht, sind Journalisten (die sich gern auch Wissenschaftsjournalisten nennen sollen), die sich als Sachwalter der Gesellschaft verstehen, die als journalistische Experten in den Redaktionen gefragt sind, wie auch bei den Lesern/Zuschauern, die sich in der Welt der Medien sozialisieren, nicht vor allem als Sachwalter der Wissenschaftlichkeit.
Davon gibt es noch viel zu wenige, wie auch die Pandemie wieder gezeigt hat. Dieses Defizit zu beheben bieten aber die Handlungsperspektiven #FactoryWisskomm keine spürbaren Ansätze: Volontariate für Postdocs – warum erst nach der Promotion, warum nicht sogar für Studienabbrecher (Sie rennen damit bei Chefredakteuren offene Türen ein, aber die Bewerber fehlen); Volontariat beim ScienceMediaCenter – das ist weniger ein journalistischer Intermediär als ein Werkzeug der Wissenschaftskommunikation (ich weiß, Volker Stollorz sieht das anders), RegioCenter – wer soll sie tragen? Die Wissenschaft? (Und warum nicht wissenschaftskundige Journalisten in den unabhängigen Nachrichtenagenturen?)
Im Übrigen: Auch die von Ihnen monierten „Strukturen, die Kooperation, Unterstützung und auch Förderung von Wissenschaftsjournalismus unter Wahrung der Unabhängigkeit strukturell erleichtern und ermöglichen“ fehlen nicht: Den künftigen Innovationsfonds der WPK habe ich ausdrücklich als Erfolg der Arbeitsgruppe bezeichnet. Denn genau das ist er ja.
Sorry, lieber Herr Uhlhaas, ich bleibe dabei, dass Wissenschaftsjournalisten in dem Papier zu sehr aus der Perspektive der Wissenschaft, nicht aber aus der Perspektive der Gesellschaft betrachtet werden, eher als Spinndoktoren denn als kritische Außenbeobachter.
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