Die Praktiker (3): Lehren aus der Pandemie – Wissenschaftskommunikation nach Corona

Posted on 27. Juli 2020

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Heute mit Markus Weißkopf (WiD), Julia Wandt (BVHKom, Uni Konstanz), Jens Simon (PTB) und Reinhard Karger (DFKI).

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek hat im Interview mit „Wissenschaft kommuniziert“ die Corona-Pandemie als „dramatische, aber lehrreiche Erfahrung“ für die Wissenschaftskommunikation bezeichnet. Ist das wirklich so?

Ganz andere Erfahrungen haben zum Teil die Praktiker draußen, in den Pressestellen und Kommunikationsabteilungen, mit oder ohne Bezug zur akuten Pandemie. Sie haben die Corona-Krise hautnah erlebt, bewältigt und ihre eigenen Wege aus den außergewöhnlichen Umständen gefunden. Doch was haben sie aus diesen Erfahrungen „gelernt“?

„Wissenschaft kommuniziert“ hat sie befragt. Hier die Antworten von vier Kollegen aus erster Hand:


Markus Weißkopf, Geschäftsführer Wissenschaft im Dialog gGmbH (WiD).

Sind Sie bislang persönlich gut durch die Corona-Krise gekommen?

  • Danke, ja. Gesund, im Home Office und auch in der Kinderbetreuung, was bei zwei Vollzeit-Berufstätigen schon eine kleine Herausforderung war…

Hat die Krise beruflich für Sie große Veränderungen/Belastungen gebracht?

  • Klar. Die Situation war natürlich für uns als Wissenschaftskommunikator*innen und als Vermittlungs- und Vernetzungsorganisation in der Branche eine Herausforderung. Die allererste und entscheidende Frage war: Wie passen wir uns so schnell wie möglich an die Situation an? Wir betrachten und betreiben Wissenschaftskommunikation so ganzheitlich, wie kaum ein andere Organisation in Deutschland. Das bedeutet auch, dass wir neben unseren Online-Angeboten vielfach auf Live- und Face-to-face-Formate setzen, um den direkten Dialog und Kontakt mit der Wissenschaft zu ermöglichen. In diesem Bereich ist also von heute auf morgen ein relevanter Teil unseres Portfolios weggefallen, beziehungsweise konnte nicht mehr so umgesetzt werden, wie zuvor. Insgesamt brachte die Situation viel Aufmerksamkeit für Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation, was einerseits natürlich sehr positiv war und immer noch ist, aber auch eine hohe Arbeitsbelastung für unser gesamtes Team mit sich brachte. Das fällt dann natürlich besonders ins Gewicht, wenn parallel viele Formate umgestellt und Dinge neu entwickelt werden müssen.
    Und natürlich war es auch als Geschäftsführer einer Organisation mit rund 50 Mitarbeiter*innen eine Herausforderung. Wie schalten wir so schnell wie möglich von Reaktion auf Aktion um? Wie können wir das große Bedürfnis nach interner Kommunikation stillen, auch wenn alle im Home Office sind? Und wie schaffen wir möglichst ideale und flexible Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter*innen mit Familie, in einer Zeit eines sehr hohen Arbeitsaufkommens. Zum Glück waren wir, was die technischen Voraussetzungen angeht, quasi bestmöglich vorbereitet und damit sehr schnell  im Home Office komplett arbeitsfähig. Homeoffice gab es bei uns auch schon vorher als festes Element, was den Umstieg sicherlich erleichtert hat.

Was haben Sie für sich persönlich aus den Erfahrungen gelernt?

  • Dass es allein mit den Kindern draußen im Wald oder im Garten auch ganz schön ist… Aber im Ernst: Man muss eben das beste aus jeder Situation machen und sich schnell mit einer neuen Situationen arrangieren. Und noch etwas sehr Wichtiges nehme ich mit aus dieser Zeit: Beteiligung, Mitbestimmung, gemeinsam etwas Neues schaffen, das sind Dinge, die digital schwieriger umzusetzen – oder zumindest noch ungewohnt – sind. Das gilt nicht nur beruflich und in der Wissenschaftskommunikation, sondern auch für alle anderen Bereiche in der Gesellschaft. Das bedeutet, dass man hier besondere Anstrengungen unternehmen muss, um eine gute, transparente Kommunikation und auch Beteiligung aufrecht zu erhalten.

Was haben Sie für sich beruflich aus den Erfahrungen gelernt?

  • Dass wir bei Wissenschaft im Dialog ein super Team haben, das in der Krise schnell und flexibel Lösungen findet und Neues ausprobiert. Das habe ich natürlich vorher schon gewusst, aber ich glaube, die Krise verdeutlicht nochmal, wie wichtig ein eingespieltes und kompetentes Team ist, um dann in solchen Situationen auch entsprechend zu reagieren.

Werden Sie in Zukunft in der Wissenschaftskommunikation andere Prioritäten/Themen setzen als vorher?

  • Nicht wirklich. Die Themen Aktualität, Qualität und Vernetzung standen für uns auch vor der Krise oben auf der Agenda. Eines hat sich für mich bestätigt: Wir sollten noch stärker daran arbeiten, dass die Expertise von Wissenschaftskommunikator*innen eine größere Beachtung findet. Viele Fehler, die in der Krise passiert sind – zu langsam, zu intransparent, unklare Rollen – hätten durch die Einbindung von Kommunikationsexpert*innen vermieden werden können. Und: Es wäre gut, wenn wir noch stärker gemeinsam agieren, jeder Akteur hat eine eigene Rolle, aber gerade in Krisenzeiten ist es besonders wichtig, übergeordnete Ziele gemeinsam anzugehen und sich nicht in kleinen Konflikten zu verlieren. Das ist teilweise passiert und schadet der Außenwirkung der Wissenschaft.

Eine konkrete Frage zum Schluss:  Wie, denken Sie, kann das enorm gewachsene Vertrauen, die große Aufmerksamkeit, die Wissenschaft in den letzten Monaten genossen hat, in den nächsten Jahren erhalten, vielleicht sogar ausgebaut werden?

  • Wenn wir bei unserer Kommunikation immer zuerst an den Rezipienten bzw. unsere Gesprächspartner*innen denken – an den Nutzen, den sie aus der Kommunikation ziehen können. Und nicht an den Nutzen der Kommunikation für unsere eigenen Institutionen. Dann kann sich ein informiertes Vertrauen ausbilden.

Julia Wandt, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation (BVHKom) und Pressesprecherin der Universität Konstanz.

Sind Sie bislang persönlich gut durch die Corona-Krise gekommen?

  • Ja, das bin ich. Gesundheitlich ging und geht es den Personen in meinem Umfeld und mir zum Glück gut. Die Zeit seit Februar ist eine extrem schnelllebige Zeit. Obwohl dies für Personen mit Kommunikationsjobs – auch mit Blick auf das Persönliche – nichts Neues oder Unbekanntes ist, bin ich immer noch beeindruckt von der rasanten Entwicklung der vergangenen Monate. Aber genau das finde ich an dieser Zeit auch so besonders.

Hat die Krise beruflich für Sie große Veränderungen/Belastungen gebracht?

  • Für mich persönlich hat sie wenig Veränderungen oder Belastungen mit sich gebracht, weil ich als Kommunikationsverantwortliche schon viel erlebt habe. Betrachtet man aber das Gesamt-Arbeitsgefüge – insbesondere in unserem Umfeld, den Universitäten – ist es sehr beeindruckend, wie viel sich innerhalb sehr kurzer Zeit ändern musste und sich auch geändert hat. An Universitäten gab es große Veränderungen, die teilweise auch belastend waren.

Was haben Sie für sich persönlich aus den Erfahrungen gelernt?

  • Vieles, was man sich zum Beispiel heute noch nicht vorstellen kann, wird morgen schnell zur Normalität. Und vieles, was man gestern noch als normal und unersetzlich empfunden hat, braucht man eigentlich gar nicht oder kann man anders machen. Ich hoffe, dass es dabei bleiben bzw. noch mehr so kommen wird, dass sich ein paar gesellschaftliche Konventionen und Gewohnheiten ändern.

Was haben Sie für sich beruflich aus den Erfahrungen gelernt?

  • Nicht neu gelernt, aber mal wieder ganz klar verdeutlicht bekommen, welchen Stellenwert und welche starken Auswirkungen Kommunikation hat.

Werden Sie in Zukunft in der Wissenschaftskommunikation andere Prioritäten/Themen setzen als vorher?

  • Nein, das nicht, aber die aktuelle Zeit bestätigt den eingeschlagenen Weg, nicht nur auf wissenschaftliche Inhalte zu setzen, sondern auch die Wissenschaft selbst mit ihren Arbeitsweisen, Methoden, Limitationen und realistischen Möglichkeiten zum Thema zu machen.

Eine konkrete Frage zum Schluss:  Wie, denken Sie, kann das enorm gewachsene Vertrauen, die große Aufmerksamkeit, die Wissenschaft in den letzten Monaten genossen hat, in den nächsten Jahren erhalten, vielleicht sogar ausgebaut werden?

  • Wenn das Vertrauen in die Wissenschaft bereits „enorm gewachsen“ist, würde mich das sehr freuen. Ich denke eher, dass hier noch Luft nach oben ist. Große Aufmerksamkeit hat die Wissenschaft auf jeden Fall bekommen, und das ist richtig und eine wichtige Voraussetzung, um das Vertrauen weiter aus- und aufzubauen. Dies gelingt aber nur, wenn in allen gesellschaftlichen Bereichen verstanden wird, wie Wissenschaft funktioniert, was sie leisten kann und wozu sie da ist – und was und wozu nicht. Das ist allerdings ein sehr großes Ziel, auch und gerade für die Kommunikation.

Dr. Dr. Jens Simon, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB).

Sind Sie bislang persönlich gut durch die Corona-Krise gekommen?

  • Das Virus hat mich bislang verschont, und also bin ich gesund an Leib und Seele.  Wobei die Seele schon etwas aushalten musste – weniger Kontakte, alles mit mehr Abstand usw. Aber die Seele ist ja durchaus andere Beschwernisse gewohnt. Also kein Jammern!

Hat die Krise beruflich für Sie große Veränderungen/Belastungen gebracht?

  • Das kann man wohl sagen. In einer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die mein Job ist, geht es gewöhnlich im Stakkato von Veranstaltung A zu Veranstaltung B, von Nachricht X zu Nachricht Y. Und nun? Viel Zeit für anderes, vor allem für viel Internes innerhalb einer so großen Institution wie der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Und so mutiert der Pressesprecher schnell zum in-house-Krisenmanager.

Was haben Sie für sich persönlich aus den Erfahrungen gelernt?

  • Ich habe Dinge wieder schätzen gelernt, die in „normalen Zeiten“ oft vergessen werden: Wie wichtig Nachbarschaftshilfe ist. Wie fürsorglich Menschen miteinander umgehen können. Wie seelennotwendig Begegnungen im Hier und Jetzt sind.  

Was haben Sie für sich beruflich aus den Erfahrungen gelernt?

  • Wie überflüssig manche hektische Betriebsamkeit ist, von der man bis jetzt glaubte, es ginge nicht anders. Für Konferenzen um die Welt jetten? Per Videokonferenz geht das bequemer und effizienter. Auf jeden fahrenden Zug springen? Ach, der nächste kommt auch. Und eine etwas spezielle Erfahrung: Als Pressesprecher ist man gewöhnlich auf die Außenwelt fixiert. In Corona-Zeiten ging der Blick ins Innere der Institution. Und plötzlich wuchs das Verständnis für interne Regelungen und Prozesse, die bis dato nur am Rande wahrgenommen wurden. Etwas scheinbar Altbekanntes erscheint ganz neu. Wie schön.

Werden Sie in Zukunft in der Wissenschaftskommunikation andere Prioritäten/Themen setzen als vorher?

  • Das Reservat des Pressesprechers einer Institution ist die Themenwelt eben dieser Institution. Und die Themen des nationalen Metrologieinstituts PTB sind grundlegend physikalisch-technisch und nicht virusabhängig. Wenn das Virus „besiegt“ ist, wird es weiter um Kilogramm, Kelvin und Co. und die Bedeutung des Messens gehen.

Eine konkrete Frage zum Schluss:  Wie, denken Sie, kann das enorm gewachsene Vertrauen, die große Aufmerksamkeit, die Wissenschaft in den letzten Monaten genossen hat, in den nächsten Jahren erhalten, vielleicht sogar ausgebaut werden?

  • Die Wissenschaften mögen im Detail hermetisch sein. Die Konsequenzen, die aus den Ergebnissen der Wissenschaft folgen, gehen dagegen alle an – und müssen entsprechend kommuniziert werden. In dieser Coronakrise haben wir alle viele Beispiele für solch gute Kommunikation gesehen (und ein paar Beispiele vom Gegenteil). Die Lernsätze für uns als Gesellschaft könnten sein: Lassen wir die Wissenschaft zu Wort kommen. Aber lassen wir sie nicht allein damit. Lassen wir den echten Dialog zu. Legen wir die Fakten auf den Tisch, möglichst alle. Und lasst uns gemeinsam draufschauen und Schlüsse ziehen.

Reinhard Karger, Unternehmenssprecher Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI).

Sind Sie bislang persönlich gut durch die Corona-Krise gekommen?

  • Danke der Nachfrage, ja, persönlich bin ich gut und gesund durch diese weltverstörende Krise gekommen. Die Kinder studieren, also war Homeschooling keine Anforderung. Mein Arbeitszimmer hat eine belastbare Ausstattung, die Internetverbindung ist breitbandig, und Wissenschaftskommunikation nutzt seit Jahren und auf mannigfaltige Weise digitale Kanäle. Beste Voraussetzungen, um die Vorteile von Homeoffice in der Tat praktisch nutzen zu können.

Hat die Krise beruflich für Sie große Veränderungen/Belastungen gebracht?

  • Für die meisten Aspekte des Alltags und uns alle hat diese Krise extreme Veränderungen gebracht. Das DFKI hatte die Infrastruktur, das Wissen und den Willen, allen Mitarbeitenden umgehend im Homeoffice jede Möglichkeit für die nahtlose digitale Zusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Gute Entscheidung. Wir nutzen unternehmensweit Tools für Videoconferencing, Präsentation, für Kollaboration in Projekten, die Arbeit an Dokumenten, Videos, Grafiken. Auch für virtuelle Betriebsversammlungen mit über 1000 Mitarbeitenden.
    Die qualitativen Auswirkungen der Distanzarbeitswelt auf unsere tägliche Kommunikationsarbeit waren gering. Eigentlich eher positiv. Das liegt wesentlich daran, dass sich die Kolleg*innen kennen und schätzen und über die DFKI-Standorte hinweg digitale Kommunikation Standard war und ist. Teamabsprachen wurden intensiviert und jeder fühlte sich zu recht informierter.
    Tatsächlich haben die ausgefallenen Besuchs- und Workshopveranstaltungen und die abgesagten Vortragsverpflichtungen zeitliche Freiräume geschaffen. Wir konnten Projekte in Angriff nehmen, technische und kommunikative Skills aufbauen. In Summe allerdings eher Mehrarbeit als Kurzarbeit.

Was haben Sie für sich persönlich aus den Erfahrungen gelernt?

  • Die Reisebelastung aktuell nicht zu haben, ist eine wirkliche Entlastung! Aber Online-Vorträge und -Podiumsdiskussionen sind anders. Möglich schon, und selbstverständlich muss man sich seriös mit Kamera, Ton, Raum und Licht auseinandersetzen. Alles machbar. Dennoch: ein Bildschirm ist keine Bühne, eine Kamera kein Publikum und ein eventbegleitender Chat-Kanal ersetzt weder Fragerunde noch Pausengespräch.
    Für mich ist es eine Erfahrung vergleichbar mit dem Weg vom Theater zum Film – allerdings mit einem entscheidenden Unterschied. Nach einer Aufführung oder einem Konzert gibt es vielleicht eine fröhliche Aftershow-Party, aber ansonsten wenig verbalen Austausch zwischen Bühne und Publikum. Bei einem Wissenschaftsevent hingegen ist der Anteil der lediglich unterhaltungswilligen Besucher gering. Wenig Zuschauer*innen, sondern primär inhaltlich interessierte Teilnehmer*innen. Und die Pausengespräche sind oft vielschichtig, manchmal phänomenal.
    Die Reduktion auf die reine Online-Informationsvermittlung ist möglich, aber die Teilnehmenden führen nicht die Dialoge, um die es eigentlich geht. Man kann sich wirklich gut wechselseitig informieren, aber deutlich weniger gut gemeinsam rätseln.

Was haben Sie für sich beruflich aus den Erfahrungen gelernt?

  • Eine Überraschung: alle Kolleg*innen waren bereit und willig und dann im Ergebnis begeistert von der durchgehend virtuellen Zusammenarbeit, die für uns extrem gut funktioniert, effektiv und ergebnisreich ist.
    KI ist ein Tagesthema. Die Nachfragen sind zahlreich. Der Informationsbedarf ist groß und der will bedient werden, damit die wissenschaftlichen Perspektiven nicht überlagert werden von Marketing oder Science Fiction. Wissenschaftskommunikation muss versuchen, die Öffentlichkeit in einer Phase zu erreichen, in der ein Thema wissenschaftlich aktuell ist, ein grundsätzliches gesellschaftliches Interesse besteht, Narrative noch nicht weltanschaulich verfestigt sind und sich die öffentliche Meinung in einem ergebnisoffenen Diskurs erst noch bildet.
    Gelernt haben wir viel. Standortübergreifendes Multiplattformstreaming von Online-Events ist tückisch. Der produktive Live-Einsatz von Videoswitchern will geübt sein. Bildregie und Multicast sind eigene Kompetenzbereiche. Praktische Erfahrung hilft, und da haben wir in den Teams Skills aufgebaut für die Vorbereitung und Durchführung von Online Live-Events. Das erhöht unsere Reaktionsgeschwindigkeit bei tagesaktuellen Nachfragen, für eigene Pressekonferenzen, Keynotes, Podcasts und Podiumsdiskussionen und das ist für Wissenschaftskommunikation und Diskursqualität durchaus vielversprechend.

Werden Sie in Zukunft in der Wissenschaftskommunikation andere Prioritäten/Themen setzen als vorher?

  • Künstliche Intelligenz ist thematisch bereits extrem umfangreich und eine Basistechnologie für viele Anwendungsfelder, aber wir werden Themen neu gewichten bzw. ergänzen. Die Bedeutung von KI für Pandemie-Prävention, -Früherkennung oder kognitive Sozialsimulation für die bessere Abschätzung der Auswirkung von epidemiologischen Maßnahmen auf das zu erwartende Infektionsgeschehen kommen dazu.
    Aktuell arbeiten viele an hybriden Veranstaltungskonzepten. Ich bin noch nicht überzeugt, dass solche Formate wirklich erfolgreich sein werden. Virtualität ist großartig, Präsenzkultur ist wunderbar – eine Mischform schwer vorstellbar. Aber auch da wird es Ideen geben und wir sind natürlich ergebnisoffen.
    Ein Kollege sagt, die Online-Veranstaltungen seien „seltsam zweidimensional“ und das trifft es. Der Erlebnistiefe mangelt es an Tiefenschärfe. Die Information bleibt, der Raum fehlt. Im Ergebnis sind das existenzsichernde Bestätigungen für die offensichtliche Sinnhaftigkeit von Messen, Kongressen und Konferenzen. Wenn man sich in die Augen schauen kann, nimmt die Intensität, die Inspiration und damit die Wahrscheinlichkeit von Innovation zu.

Eine konkrete Frage zum Schluss: Wie, denken Sie, kann das enorm gewachsene Vertrauen, die große Aufmerksamkeit, die Wissenschaft in den letzten Monaten genossen hat, in den nächsten Jahren erhalten, vielleicht sogar ausgebaut werden?

  • Das Vertrauen wird bleiben, hoffentlich. Aber seien wir realistisch, die Aufmerksamkeit wird schwinden. Wissenschaftler waren in den Medien über Monate präsenter als jemals zuvor. Das lag nicht an der Wissenschaft, sondern an den Problemen der Welt, die die Politik und die Öffentlichkeit ratlos gemacht haben, so dass von allen Seiten fundierte Beratung nachgefragt wurde. Angetrieben von einer unmittelbar erlebten existentiellen Betroffenheit, gesundheitlich oder wirtschaftlich. Der Unterschied zur Klimakrise, die unser Leben noch vielschichtiger und tiefgreifender verändern wird, war die Abruptheit der Entwicklung.
    Glücklicherweise für Deutschland waren die Virolog*innen und Epidemiolog*innen auskunftswillig, ausreichend belastbar und frustrationstolerant, gegeben die medialen Verkürzungen und Eskalationen. Manche Themen lassen sich nicht in fünf Worten differenziert darstellen, dazu gehören die meisten wissenschaftlichen Inhalte und erst recht nicht, wenn der Erkenntnisprozess laufend neue Ergebnisse bringt. Aber es ist inhaltlich und menschlich beeindruckend, wie die Wissenschaftler damit umgegangen sind. Respekt und Applaus dafür!
    Aber wir müssen realistisch sein. Wenn die Pandemie entweder überwunden oder zu einer Normalität geworden ist, werden die Wissenschaftler*innen wieder normal arbeiten können – und die mediale Aufmerksamkeit wird ein neues Tagesthema finden. Vielleicht Fußball oder Finanzaufsicht, Migration oder Populismus. Oder aber die Außerirdischen landen und die Linguisten retten die Welt – eine Sternstunde für Geisteswissenschaften -, weil sie die Sprache der Aliens entschlüsseln.

Die Praktiker (4): Lehren aus der Pandemie – Wissenschaftskommunikation nach Corona
mit Kim-Astrid Magister (Uni Dresden), Josef Zens (GFZ Potsdam), Florian Martini (Siemens AG) und Uwe Steger (Uni Innsbruck)
folgt nächste Woche.