Leitlinien zur Sackgasse? – Fünf Einwürfe zu den „Leitlinien guter Wissenschafts-PR“

Posted on 4. November 2015

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Leitlinien für die Wissenschaftskommunikation.

Leitlinien können auch in die Irre führen – Fragen zum Leitlinien-Entwurf für die Wissenschaftskommunikation.

Vor 40 Jahren beschrieb das große Meyers Lexikon „Leitlinien“ als Straßenmarkierungen. Und lag damit gar nicht so falsch – bis heute. Die Leitlinien auf den Straßen sind hilfreich, doch wer von ihnen abweicht, lebt riskant. Für Leitlinien im übertragenen Sinn, wie das Wort heute meist gebraucht wird, gilt noch immer das Gleiche: Es ist gut ihnen zu folgen und Gefahr für alle, die sie nicht im Blick haben.

Doch was ist, wenn diese Leitlinien in eine Sackgasse führen? Diese Frage stellt sich, wenn man den Entwurf zu „Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR“ liest, den der Bundesverband Hochschulkommunikation und Wissenschaft im Dialog (WiD) zusammen mit einem ansonsten anonymen „überinstitutionellen Arbeitskreis“ erarbeitet haben.

Siggen - Denkfabrik Wissenschaftskommunikation

Gut Siggen in Holstein – Denkfabrik für die Wissenschaftskommunikation.

Die Grundgedanken stammen vom „Siggener Kreis“, einer Runde von Wissenschaftskommunikatoren, die sich in jährlichen Tagungen um Qualität in der Wissenschaftskommunikation bemüht. Der Entwurf der Leitlinien steht seit September beim Bundesverband  und bei WiD zur Diskussion im Netz. Von Diskussionsbeiträgen ist dort allerdings noch nichts zu sehen. Es wird auch angekündigt, auf der „Wissenswerte“ in Bremen und beim „Forum Wissenschaftskommunikation“ in Nürnberg werde in den nächsten Wochen darüber diskutiert, doch in den Programmen der Tagungen ist nichts Passendes zu finden. Lediglich bei der Jahrestagung des Bundesverbandes Hochschulkommuikation in Duisburg gab es wenige Tage nach der Veröffentlichung der Leitlinien einen Workshop dazu. Doch da ging es vor allem darum, ob ein Pressesprecher jeden Wunsch eines Forschers erfüllen muss – eher ein Randthema der „guten Wissenschafts-PR“.

Anlass genug, einen Anstoß zur öffentliche Diskussion über diese Leitlinien zu geben. Ich will das tun:

Leitlinien sind wichtig, vor allem wenn sie gut sind, denn sie geben Qualitätsstandards vor, die niemand guten Gewissens unterschreiten kann. Und eine Verbesserung der Qualität gilt derzeit als ein entscheidender Schritt zur Weiterentwicklung der Wissenschaftskommunikation. Schon allein deshalb ist der vorliegende Entwurf wertvoll und dringend notwendig, in dem viel Arbeit steckt, der viele wichtige Gedanken enthält, der richtige Prinzipien anspricht und verteidigt. Und der in dieser Form dennoch droht, Wissenschaftskommunikation in eine Sackgasse zu führen. Ich will meine Bedenken in fünf Einwürfen formulieren:

  1. Einwurf: Werdet Euch klar, was Ihr eigentlich wollt – Kommunikation oder PR?

    Die Public Relations, abgekürzt PR, ist in ihrer Glaubwürdigkeit und ihrem Ruf angekratzt. Vor allem aber ist sie nur ein Teilgebiet der Kommunikation. Und mehr noch als beim voll ausgeschriebenen Namen (der sich auch mit „Öffentlichkeitsarbeit“ übersetzen lässt) wird unter dem Kürzel PR im allgemeinen die einseitige Information vom Sender zum Empfänger verstanden. Wissenschafts-PR als Teil der Wissenschaftskommunikation, das erkennen auch die Autoren der Leitlinien, definieren dann aber PR als „Gestaltung der Austauschbeziehungen… mit der Öffentlicheit“. Das umfasst eigentlich die gesamte Kommunikation und ist weit entfernt vom allgemeinen Verständnis von PR (selbst die Deutsche Public Relations Gesellschaft (DPRG) unterscheidet zwischen Kommunikations- und PR-Fachleuten. Und Markus Weißkopfs definitorischer Blogbeitrag „Wir machen PR und das ist auch gut so“ ist nicht Bestandteil der Leitlinien.
    In den Leitlinien kommt der Austausch dann sehr kurz. Doch Kommunikation ist mehr als PR. Dazu zählen etwa die interne Kommunikation oder das Ghostwriten, die Beratung nach Innen, die Coporate Identity ebenso wie das Entwickeln von Identifikationsmustern und Profilen. Und ganz wesentlich gehört zum Austausch das Zuhören.
    Also werdet Euch erst einmal klar, ob Ihr Leitlinien für PR haben wollt – so wie sie allgemein verstanden wird – da hat gerade die DPRG mit ihrem Kommunikationskodex ein gutes Vorbild für schlüssige Leitlinien. Oder ob ihr die gesamte Wissenschaftskommunikation meint. (Auch das nichtssagende Adjektiv „gut“ würde besser durch „glaubwürdig“ ersetzt.) Tatsächlich stellen die Leitlinien vor allem den PR-Aspekt im Sinne der Werbung für die Wissenschaftsposition in den Mittelpunkt, doch dies mit teils unklaren Formulierungen – etwa wenn zwischen den PR-Verantwortlichen und den Akteuren der Wissenschaftskommunikation unterschieden wird, ja es wird sogar noch zwischen den „in der institutionellen Wissenschaftskommunikation tätigen“ Akteuren und „allen“ Akteuren der Wissenschaftskommunikation unterschieden. Wer jeweils was sein soll, bleibt rätselhaft, denn die Wissenschaftler werden dann wieder deutlich als Wissenschaftler benannt.

  2. Einwurf: Wo bleibt der Rückkanal? – Ihr seid nicht nur Sender!

    Kommunikation ist ein zweiseitiger Prozess, keine Einbahnstraße. Ebenso selbstverständlich wie das Senden von Botschaften ist das Zuhören. Das aber kommt in den Leitlinien eher am Rande vor und dann vor allem im Sinne von Akzeptanzbeschaffung, etwa wenn die „gute Wissenschafts-PR“ Fragen und Ängste der Bürger in die Wissenschaft tragen soll. Später organisiert die „gute Wissenschaft-PR“ den Dialog über Chancen und Risiken von Methoden und Ergebnissen. Zu deutlich dient hier Zuhören eigentlich der Akzeptanzbeschaffung für Forschung. Das ist kein echter Dialog, der den anderen ernst nimmt.
    So einfach dürft Ihr es Euch nicht machen. Wissenschaftskommunikation in einer Gesellschaft, die mehr und mehr nach Transparenz und Partizipation drängt, muss Wege zur Offenheit und zum echten Dialog entwickeln. Wenn sie damit nicht selbst vorangeht, werden sie ihr aufgezwungen, und ob Wissenschaft dann noch die ihr wichtige Freiheit oder andere Privilegien bewahren kann, erscheint offen. Konzepte für Crowdfunding oder Citizen Science sind da bestenfalls ein Anfang, nicht das Ziel.
    Und es wird nicht beim Dialog zu Methoden und Ergebnissen bleiben. Die Diskussionen um Partizipation und Agenda Setting zeigen, wie nah diese Fragen an die Essentials der Wissenschafts-Privilegien geht. Fragen wie „Welche Wissenschaft wollen wir?“, „Warum die Privilegien?“ oder ähnliches werden bald auftauchen. Hier sind die Wissenschaftler vital auf das Knowhow ihrer Kommunikationsfachleute angewiesen. Und das gilt es rechtzeitig zu entwickeln.

  3. Einwurf: Entwurzelt Euch nicht – Wissenschaftskommunikation ist Teil der Wissenschaft!

    Praktisch zeitgleich mit den Leitlinien hat der Siggener Kreis in diesem Jahr ein Impulspapier „Wissenschaftskommunikation in Zeiten der Entgrenzung“ veröffentlicht. In ihm finden sich einige Sätze, die den Leitlinien gut getan hätten (man hat sogar den Eindruck, als ob hier ganz unterschiedliche Sichtweisen auf die Wissenschaftskommunikation zu Wort kommen). Während die Leitlinien stark in der Werbung um Akzeptanz, dem Verkünden wissenschaftlicher Wahrheiten, der Durchsetzung der Katheter-Autorität, eben der PR verpflichtet sind (natürlich nach Anhörung der Bürger, die man beglücken will), erkennt das Impulspapier deutlich die laufenden Veränderungen in unserer Gesellschaft: das Verschwinden von abgegrenzten Einflusssphären der gesellschaftlichen Teilsysteme. Und es definiert exakt die große Aufgabe: „Die Wissenschaftskommunikation hat die Aufgabe, die Wissenschaft dabei zu unterstützen, mit diesen Veränderungen umzugehen.“ Hinhören und reagieren: „Ihr Ziel ist es, die Wissenschaft zu stärken und den Dialog zwischen Wissenschaft und anderen Systemen zu gestalten.“
    Doch einmal vergaloppieren sich auch die Autoren dieses Papiers, wenn sie nämlich feststellen: „Wissenschaftskommunikatoren als Schnittstellenmanager zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit…“. Vorsicht: Wissenschaftskommunikatoren sind keine außenstehenden Vermittler zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, sie sind Teil der Wissenschaft und müssen es bleiben, sonst fehlt ihnen jede Basis. Richtig wäre: „Wissenschaftskommunikatoren als Schnittstellenmanager der Wissenschaft zur Öffentlichkeit“ bzw. zur Gesellschaft. Das sollen sie sein und hier haben sie höchst wichtige Aufgaben zu erfüllen, siehe oben.

  4. Einwurf: Wer schafft denn neues Wissen? – Wo bleiben die Wissenschaftler?

    Wissenschaftskommunikation ist Dienstleistung – vor allem Dienstleistung für die Wissenschaft, um die Forscher sachkundig bei der Kommunikation zu unterstützen. Davon merkt man in den Leitlinien wenig. Alles tut die „gute Wissenschafts-PR“. Und an einer Stelle, da fördert sie sogar, dass Wissenschaftler über sich selbst sprechen. Sorry, da ist die Welt auf den Kopf gestellt: Die Wissenschaftler müssen im Mittelpunkt der Wissenschaftskommunikation stehen. Kommunikatoren, PR-Verantwortliche – oder wie sie heißen mögen – können lediglich im Namen der Wissenschaftler sprechen, nie für sich. Sonst geht die Glaubwürdigkeit des Zeugen verloren. Wissenschaftskommunikatoren sind dafür verantwortlich, die besten Mittel, Worte und Wege der Kommunikation zu finden, sie sind Manager der Kommunikation. – im Fokus stehen allein die Wissenschaftler und ihre Handlungen. Natürlich gehört es auch zu den Aufgaben der Kommunikatoren, die Wissenschaftler zu beraten, sich im Sinn der Kommunikationsziele richtig zu verhalten, auch einmal zu schweigen oder den Forschungssprecher für sich sprechen zu lassen. Doch im Mittelpunkt stehen immer die Wissenschaftler, sie haben das Wort. Das gilt für Auftritte von Wissenschaftlern in Massenmedien, die Kommunikatoren vorbereiten, für Pressemitteilungen, für die Website ebenso wie für Treffen mit der Nachbarschaft, mit Bürgerinitiativen oder mit Politikern.

  5. Einwurf: Schuster bleib bei deinen Leisten – Woher wollt Ihr wissen, was für die Gesellschaft relevant ist?

    Ein Absatz in den Leitlinien wirft bei mir nur Fragezeichen auf. Er sagt sinngemäß: Wissenschaft-PR „filtert“ aus der Flut von Informationen (natürlich im Dialog mit Forschern und Bürgern) diejenigen, „die relevant für die Gesellschaft und andere Wissenschaftsdisziplinen sind“. Und dies natürlich „nach möglichst objektiven Maßstäben und nicht allein aufgrund von Eigeninteressen“. Das klingt absurd: Die Wissenschafts-PR als Oberschiedsrichter, der entscheidet, was für die Gesellschaft und die Wissenschaft relevant ist, und die auch noch glaubt, sie könne dies objektiv tun – gleichzeitig dürften aber durchaus Eigeninteressen mit hineinspielen. Wohlgemerkt: Filtern bedeutet zurückhalten.
    Ganz gleich, wer sich dies hat einfallen lassen oder es so missverständlich formuliert hat, eines steht fest: Es ist Sache der Gesellschaft, zu entscheiden, welche Informationen für sie relevant sind. Dies ist nicht Sache der Wissenschaft und schon gar nicht der Wissenschaftskommunikation. Die Wissenschaft – und damit die Wissenschaftskommunikation, als Teil von ihr – kann Vermutungen anstellen, Vorschläge machen (was sie mit jeder Pressemitteilung tut), aber sie muss offen sein, ohne Rücksicht auf Eigeninteressen, alle ihre Erkenntnisse der Gesellschaft darzulegen, denn schließlich wird sie von dieser Gesellschaft getragen. Um einen Satz von Angela Merkel abzuwandeln: Filtern geht gar nicht.

Impulsdiskussion für Wissenschaftskommunikation

Impulse für bessere Wissenschaftskommunikation – Diskussion im Siggener Kreis 2015. (Foto: C. Koch)

Mein Fazit: Zu einer Verbesserung der Qualität wären Leitlinien für die Wissenschaftskommunikation sehr wertvoll. Doch dieser Entwurf ist zu schwammig, in sich widersprüchlich und fast komplett auf werbende PR ausgerichtet, als dass er dafür geeignet wäre. Wer Standards für Qualität setzen möchte, der muss selbst Qualität bieten. Sonst führen diese Leitlinien – um im Bild vom Anfang zu bleiben – in eine Sackgasse.

Doch noch ein positives Wort am Schluss: Den Leitlinien ist beigefügt eine „Checkliste“´, in der es um das Verhältnis der „Wissenschafts-PR-Verantwortlichen“ und der „Wissenschaftler“ geht. Diese Checkliste liefert ein nützliches Handwerkszeug, um von Wissenschaftlern die notwendigen Fakten und Hintergründe abzufordern, die für Pressemitteilungen und andere PR-Aktionen notwendig sind. Nicht immer sind alle Checkpunkte sinnvoll, manche wesentliche fehlen – aber das ist immer so bei Checklisten. Insgesamt aber eine hilfreiche Argumentationsliste, damit Wissenschaftler die Informationen liefern, die für eine PR-Aktion notwendig sind.