„Wir haben dramatische Vermittlungsprobleme“

Posted on 7. Februar 2017

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Teil 2 des „Wissenschaft kommuniziert“-Gesprächs mit DFG-Präsident Prof. Dr. Peter Strohschneider

Wissenschaft und Kommunikation

Im ersten Teil des Interviews  schildert DFG-Präsident Professor Strohschneider die dramatischen Veränderungen, die sich derzeit in der Gesellschaft ereignen und ihre Konsequenzen für die  Wissenschaft. Im zweiten Teil geht es um die Wissenschaftskommunikation und ihre Rolle im deutschen Wissenschaftssystem.

DFG-Präsident Prof. Strohschneider: Wenn eine Gesellschaft keine Fakten mehr braucht, benötigt sie auch keine Wissenschaft. (foto: DFG)

DFG-Präsident Prof. Strohschneider: „Wissenschaft muss neu darüber nachdenken, wie sie mit der Gesellschaft kommuniziert.“ (Foto: DFG)

 Das ganze ist ja auch eine Frage der Kommunikation. Bietet da die Wissenschaftskommunikation nicht viele Ansätze für Lösungen?

Strohschneider: Wenn ich nach Wissenschaftskommunikation gefragt werde, erzähle ich gern, was in Großbritannien passiert ist: Der britische Justizstaatssekretär Michael Gove hat zwei Tage vor der Brexit-Abstimmung eine Pressekonferenz gegeben und wurde gefragt, was er dazu sagt, dass der weit überwiegende Teil der britischen Wirtschaftsexperten vom Brexit abrät. Seine Antwort war eine Gegenfrage: „Was sagen Sie denn dazu, dass der weit überwiegende Teil der britischen Gesellschaft von Experten die Nase gestrichen voll hat.“

Wenn das stimmt, wenn dadurch etwas vom Zustand einer Gesellschaft sichtbar wird, dann hat das dramatische Folgen auch für die Wissenschaft selbst, aber auch für ihre gesellschaftliche Kommunikation. Wenn die Expertise selbst das Problem ist, dann kann die organisierte Wissenschaft nicht sagen: Mehr Expertise und mehr Geld für Expertise. Da muss sie vielmehr ziemlich grundsätzlich neu darüber nachdenken, wie sie ihre Ansprüche und Leistungen mit der Gesellschaft kommuniziert. Und zwar als Wissenschaftssystem, also gar nicht auf der Ebene des einzelnen Forschungsprozesses. Für das öffentlich finanzierte Wissenschaftssystem entstehen da vollständig andere Fragen. Und ich bin nicht sicher, dass die Vertreter der organisierten Wissenschaft das alle ebenso sehen wie ich.

Wie ist denn die Wissenschaft in Deutschland aufgestellt, sowohl bei der Kommunikation mit dieser Gesellschaft, als auch beim Aufnehmen von Signalen über die Veränderung der Gesellschaft und bei der Kommunikation dieser Signale in die Wissenschaft hinein?

Es gibt in der Wissenschaft ausgesprochen virtuose Gesellschaftsbeobachter, Leute, die ihr ganzes Leben damit verbringen, ihre Wahrnehmungsgenauigkeit gegenüber gesellschaftlichen Prozessen zu verfeinern. Es gibt andererseits auch Abschottungsprozesse in der Wissenschaft. Als Beispiel: Wenn die medizinische Forschung ausschließlich auf Englisch kommuniziert, dann werden die Ärzte bald nicht mehr mit den Patienten verständlich und umfassend sprechen können. Es gibt Forderungen, sich sprachlich und begrifflich einzuigeln. Es gibt auch Haltungen der Wissenschaft gegenüber der Gesellschaft, die aus meiner Sicht kontraproduktiv für die Wissenschaft sind.

Beispielsweise macht die Wissenschaft unter Legitimations- und Finanzdruck in einem ungeheuren Umfang der Gesellschaft Versprechungen, was sie künftig alles lösen wird oder was sie praktisch schon gelöst hat. Ob Diabetes A oder Krebs und so weiter, wenn man die Versprechungen, die die Wissenschaft in den letzten zehn Jahren gemacht hat, zurückverfolgt, dann dürfte es das alles gar nicht mehr geben. Solche Versprechungen, die man machen muss, weil man unter Begründungszwang steht, und die man dann nicht halten kann, deligitimieren die Wissenschaft: Die Gesellschaft weiß, dass die Wissenschaft unentwegt mehr verspricht, als sie halten kann.

Das ist wie bei kommunizierenden Röhren: Je höher der Legitimations- und Finanzdruck wird, je weniger Autonomietoleranz die Gesellschaft der Wissenschaft einräumt, umso naheliegender ist es für die Wissenschaft, diesen Rechtfertigungszwängen durch Verheißungen gerecht zu werden. Das sind Circuli vitiosi, die da entstehen. Wir geben mehr Verheißungen ab, als wir halten können, die wiederum veranlassen die Gesellschaft, von der Wissenschaft noch mehr zu verlangen, worauf wir zunächst einmal mit neuen Verheißungen reagieren. Das sind Spiralen, aus denen wir irgendwie herauskommen müssen. Irgendwie sage ich, weil ich nicht weiß, wie wir da als System insgesamt herauskommen können.

Sind diese Verheißungen nicht ein Beispiel für schlecht verstandene Kommunikation: Primitivlösungen an Kommunikation, die sich später rächen. Muss denn ein Wissenschaftler in Zukunft alles selbst beherrschen, nicht nur sein komplexes Fachgebiet, sondern auch noch so etwas kompliziertes wie Kommunikation? Jeder weiß – allein aus dem persönlichen Umfeld – wie ungeheuer komplex Kommunikation zwischen Menschen ist.

Es gibt ja Naturbegabungen unter den Wissenschaftlern. Aber ich glaube auch, dass einerseits das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft so komplex geworden ist, dass auch die Mediensysteme so komplex geworden sind, so sehr ihrer eigenen Logik folgen – die eine andere ist als die der Gesellschaft überhaupt, und eine andere als die von Politik, und eine andere als die des Wissenschaftssystems – und dass zugleich das moderne Wissenschaftssystem so komplex geworden ist, dass die Erwartung, jeder Wissenschaftler, oder wenigstens einer in jeder Gruppe von Wissenschaftlern, müsse diese gesellschaftliche Kommunikationsaufgabe von Wissenschaft zureichend erfüllen – diese Erwartung ist ganz abwegig.

Es bilden sich neue, professionelle Vermittlungsrollen heraus – Wissenschaftskommunikation, Wissenschaftsjournalismus, Wissenschafts-PR, wie immer man sie im Einzelnen konfiguriert und voneinander abgrenzt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass dies anders sein könnte. Das hat schon mit den Spezialisierungs-Logiken von Wissenschaft zu tun. Als ich das erste Mal Dekan an der TU Dresden war, da hatte ich ein sehr gutes Allianzverhältnis mit dem Dekan der Naturiwssenschaften, einem Kernphysiker. Von dem habe ich gelernt, dass das, was die kernphysikalische Forschung heute interessiert, woran sie arbeitet, in einem normalen Diplom-Physik-Studium nicht mehr vorkommt, weil es jenseits der normalen Ausbildung eines Diplom-Physikers liegt. Das selbe würde ich für meine Literaturwissenschaft sagen: Das, wo die eigentlich texttheoretischen Forschungsprobleme liegen, das kann ein Germanistikstudent im Studium kaum erfahren. Ich kann ihm das von Außen zeigen, aber er wird kaum wirklich eindringen können. Also der Abstand zwischen dem, was sich im Studium normalerweise vermitteln lässt und den Frontiers of Research wächst ständig.

Und schon dies zeigt, wie dramatisch die Vermittlungsprobleme, die Abstände geworden sind zwischen den Fronten der Forschung und dem, was sich gesellschaftlich allgemein vermitteln lässt. Die Gesellschaft wiederum nimmt diese Abstände natürlich als eine Form von Mandarintum wahr. Früher war der Mandarin sozial unnahbar. Was wir heute haben ist eine Art von kognitiver Unnahbarkeit. Wer in siebendimensionalen Räumen Mathematik macht, wie soll der eine allgemeine Nahbarkeit erzeugen für das, was ihn als Problem mathematisch interessiert?

 Nun existiert bei der Kommunikation in der Gesellschaft ja auch ein höchst lebendiger Wettbewerb: der Wettbewerb um Aufmerksamkeit, um Wahrnehmung. Wird das nicht zu einem gefährlichen Punkt, gerade wenn die Wissenschaft stärker von der gesellschaftlichen Autonomietoleranz abhängig wird?

Auf jeden Fall ist das ein Punkt, an dem man lernen muss. Zum Beispiel, was ich selbst in Interviews immer wieder erlebe, wie die Eigenlogik, die sich aus der Ökonomie knapper Aufmerksamkeit ergibt eine ganz andere ist als die Logik des Problemaufbaus, die im wissenschaftlichen Diskurs herrschen muss.

Um aber noch einen ganz anderen Aspekt hier einzubringen: Es ist zugleich ja auch so, dass auf allen Ebenen von Wissenschaft die Wettbewerblichkeit immer stärker ausgebaut wird – nicht nur der Ideenwettstreit, den es seit den Sokratikern gibt, sondern auch der marktförmige Wettbewerb –  dass auch innerhalb der Wissenschaft selbst Aufmerksamkeitsökonomie immer wichtiger wird. Das Publikationswesen der Naturwissenschaften beispielsweise mit zwei privilegierten Zeitschriften und vielen danach, die nicht die gleiche Reputation haben, ganz abgesehen von den bibliometrischen Aggregationen dieses Publikationssystems, auch das ist ein System knapper Aufmerksamkeit, das nicht mehr wirklich anders funktioniert als das Mediensystem. Und darin sehe ich ein Problem, da damit etwas anders ins Spiel kommt als der Wahrheitsanspruch, der Wissensanspruch und der Neuheitsanspruch der Wissenschaft – nennen wir es „Hype“.

Problem erkannt. Da stellt sich die Frage: Wird in der deutschen Wissenschaft genug getan, um das Problem der gesellschaftlichen Kommunikation beherrschen und bewältigen zu können? Schließlich geht es letztendlich ja um die Frage, ob Wissenschaft weiter erfolgreich arbeiten kann.

Was die innerwissenschaftlichen Prozesse angeht, die ich gerade angesprochen habe, gibt es sicherlich eine deutlich verschärfte Problemwahrnehmung in der Wissenschaft. Da ist die Lage heute ganz anders als vor fünf Jahren – sehr viel differenzierter und kritischer.

Im Verhältnis zur Gesellschaft muss ich mich auf meine Intuition stützen. Und da würde ich sagen, es kommt nicht so sehr darauf an, ob man mehr oder weniger tut, sondern eher, ob man dieses oder anderes tun kann. Da kommt es wohl sehr viel stärker auf die richtige Form der Kommunikation an. Man muss da sehr gut unterscheiden, was man mit der Kommunikation erreichen will. Wenn ich etwa Kinder, Schüler oder Heranwachsende an die Wissenschaft heranführen möchte, dann würde man eher eine Kommunikationsform wählen, die das Faszinationspotenzial von Forschen erschließt.  Wenn ich gesellschaftspolitisch für die Wissenschaft argumentieren möchte, dann muss ich mit etwas Anderem arbeiten als mit dem Faszinationspotenzial. Wenn ich gesellschaftliche Plausibilität von Wissenschaft herstellen möchte, muss ich anders operieren als wenn ich unterhaltsam sein will. Ich argumentiere hier nicht für oder gegen das eine oder andere. Was ich meine ist, wir müssen sehr präzise die jeweiligen Adressaten bei der Wahl der Kommunikationsformen bedenken, die sich die Wissenschaft zueigen macht. Und da würde ich sagen, ist das Wissenschaftssystem in Deutschland nicht besonders gut aufgestellt.

Mir fällt auf, bei den vielen Veranstaltungen zur Wissenschaftskommunikation, die ich besuche, sind nur ganz wenige Wissenschaftler zu finden, für die ja kommuniziert werden soll. Wird das Problem Kommunikation in der Wissenschaft nicht unterschätzt?

Das kann einem auffallen. Ich bin da auch kaum zu sehen. Ich engagiere mich in zwei Jurys, die Preise für Wissenschaftsjournalismus vergeben. Aber ich selbst partizipiere an der Wissenschaftskommunikation eher von Außen.

Unterschätzt die Wissenschaft das Problem Kommunikation? Ich würde sagen Ja und Nein. Der Wissenschaftsjournalismus steht auf jeden Fall mächtig unter Druck. Und man kann diesen Druck bereits an der abnehmenden Dichte und Qualität der Berichterstattung beobachten. Das ist ein großer Nachteil, gerade auch für die Wissenschaft. Die Wissenschaft ist darauf angewiesen, dass das, was sie tut, von einem emphatischen Journalismus kundig und kritisch begleitet wird. Sie braucht einen Sparingspartner.

Kommunikation über Journalisten ist aber nur ein Weg. Angesichts der wachsenden Bedeutung der Sozialen Netzwerke, muss man da nicht über alternative Wege der Kommunikation mit der Gesellschaft nachdenken? Und dann ist dies auch nur die eine Richtung. Wie steht es um die Wahrnehmung der Gesellschaft in der Wissenschaft?

Das ist sicher so. Und darüber mache ich mir nur „handgestrickte“ Gedanken. Das ist nicht ein Thema, in dem ich mich wirklich sachkundig fühle.

Aber immerhin: Sie machen sich Gedanken darüber. Wie viele Ihrer Kollegen tun dies noch?

Meine Antwort darauf ist ein bisschen polemisch, ich denke aber, nicht sehr polemisch: Eine der Funktionsbedingungen moderner Wissenschaft, insbesondere in den Naturwissenschaften, ist es, eine Spezialisierung voranzutreiben, die in dem Maße, in dem sie betrieben wird, nur geht, wenn ich alles andere weglasse. Dazu gehören die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen von Forschung – die hat die moderne Naturwissenschaft in eine separate Erkenntnistheorie ausgelagert. Sie macht sich frei von ihnen und kann sich deswegen weiter spezialisieren.

Dazu gehören aber auch die Folgen, die Verantwortung, die gesellschaftliche Kommunikation von Wissenschaft. Moderne experimentalwissenschaftliche Forschung ist extrem voraussetzungsfrei und extrem kompetitiv. Nehmen wir die molekulare Zellbiologie. Wenn Sie irgendeine neue Erkenntnis haben und Sie wissen, es gibt noch zwei Konkurrenten weltweit. Da ist es wirklich entscheidend, ob Sie „Science“ in dieser Woche erreichen oder erst in drei Wochen. Entscheidend ist dies nicht nur für ein symbolisches Kapital der Person oder der Institution, etwa für die Entdeckerehre, sondern für Nutzungsrechte, für Haftungsfragen, für den ökonomischen Ertrag des Ganzen. Ich will das gar nicht rechtfertigen, sondern exemplarische Strukturbedingungen andeuten, bei denen man schnell sieht, dass die Auslagerung all dessen, was die Wissenschaft mit der Gesellschaft verbindet, in vielerlei Hinsicht zu einem Tunnelblick führen kann, der die Spezialisierung ermöglicht.

Den Tunnelblick gibt es in den Geisteswissenschaften natürlich auch. Und er gehört dazu: Es gibt in Max Webers berühmter Rede über Wissenschaft als Beruf einen Passus, wo er diesen Tunnelblick an der Philologie vorführt. Da sagt er: Wer nicht bereit ist, an die Frage, ob bei der Handschrift an einer Stelle diese Konjektur oder eine andere anzubringen sei, sein Leben daran zu geben, der lasse die Finger von der Wissenschaft.

Der Tunnelblick ist eine Konstitutionsbedingung moderner Wissenschaft generell. Er spielte keine Rolle, solange die Gesellschaft das hohe Maß an Autonomietoleranz aufgebracht hat, hingenommen hat, dass es diese „weltfremden“ Leute gibt. Das tut Sie aber nicht mehr angesichts der wachsenden Bedeutung und des Gewichts, das Wissenschaft für die Gesellschaft gewonnen hat. Auf jeden Fall nicht mehr in der Weise, wie das einmal der Fall war. Und wenn ich mir die Berichterstattung in den Medien über Naturwissenschaften ansehe, dann habe ich als interessierter, aber sachunkundiger Leser relativ wenig davon, da sie mir kaum Kontext bietet, sie nimmt kaum Einordnung vor. Es ist weithin eine Berichterstattung für Spezialisten. Das heißt, der Tunnelblick wird in der Außendarstellung und in der Wahrnehmung von Außen fortgesetzt.

 Sie heben sehr stark auf den Wissenschaftsjournalismus ab. Muss bei der Frage Kommunikation der Wissenschaft mit der Gesellschaft nicht der Blick geweitet werden, bis hin zum Verhalten der Wissenschaft und natürlich Internet und Soziale Medien?

Ich habe vorhin ja schon etwas zu den Verheißungen der Wissenschaft gesagt. Zum Verhalten der Wissenschaft halte ich es für zwingend, dass sie die Unsicherheit ihres Wissens mitkommuniziert. Das gilt nicht nur für die Auseinandersetzung um den Klimawandel, sondern auch in anderen Bereichen, etwa für den Rat der Wirtschaftsweisen in Deutschland. Das ist ein wissenschaftliches Beratungsgremium der Politik, das kaum je die Ungewissheit seines Wissens mitkommuniziert. Und das ist ein Problem. Denn es führt zu den Abwehrreaktionen, von denen wir bereits gesprochen haben, die dann alle Formen von Expertise und Elitismus in den gleichen großen Topf werfen.

Natürlich gibt es in der Wissenschaft Mandarin-Verhalten, natürlich gibt es Desinteresse, natürlich gibt es auch eigennützige Politik in den Wissenschaftsorganisationen, die sagen „drei Prozent für mich und der Rest ist mir egal“. Das kann man alles kritisieren, aber das ist noch keine Antwort auf die Frage: Tut die Wissenschaft genug oder was wäre das Richtige zu tun? Und das kann ich abstrakt leider nicht beantworten.

Wenn man diese Defizite erkannt hat, warum sucht man nicht Hilfe? Warum misst man der Wissenschaftskommunikation und den professionellen Kommunikatoren dann nicht einen höheren Stellenwert zu als die Wissenschaft dies heute tut?

Was die Wissenschaftskommunikation betrifft, kann die DFG für sich in Anspruch nehmen, ziemlich aktiv zu sein. Doch im Wissenschaftssystem gibt es die Gratifikationen nicht für Kommunikation, sondern für Papers. Darunter leiden alle anderen Funktionen, etwa die akademische Lehre, darunter leiden etwa Transferbereiche und darunter leidet auch die Wissenschaftskommunikation. Das Problem ist, abstrakt gesprochen, dass ein polyfunktionales System vor allem über einen Parameter gesteuert wird. Und das sind wissenschaftliche Publikationen.

Ist das gut für die Wissenschaft?

Nein, das ist nicht gut für die Wissenschaft. Da bin ich eindeutig. Forschung ist nicht alles, nicht einmal alles in der Wissenschaft – das kann ich auch als Präsident einer Forschungsförderorganisation sagen. Es gibt auch andere Dimensionen für die Wissenschaft als die Forschung allein. Andere Wissenschaftssysteme tun sich mit solchen Dimensionen leichter als wir. Beispiel USA: Das amerikanische Universitätssystem gehört zunächst einmal zum Higher-Education-Sektor und nur ein kleiner Teil dieses Systems wird über Forschung und Forschungs-Output gesteuert. Es tut sich an vielen Stellen, beispielsweise bei der Karriereentwicklung, an vielen Stellen des akademischen Unterrichts und der Qualität des Studiums, viel leichter als die deutschen Universitäten. Andererseits ist die Tradition der Humboldt’schen Forschungsuniversität bei uns, so sehr die zerrüttet sein mag, doch auch eine Gegebenheit unter der wir in Deutschland Politik machen. Und man muss auch bedenken, dass die bildungsbürgerlichen Milieus, in denen es klar war, was und wofür Wissenschaft da ist, dass diese Milieus in unser Gesellschaft erodieren.

Die Wissenschaft hat sich nicht nur selbst von der Gesellschaft wegbewegt, im Rahmen ihrer Spezialisierung, sondern sie verliert auch ihren gesellschaftlichen Außenbezug durch sozialstrukturellen Wandel in der Gesellschaft. In dem Maße, in dem die Verbindlichkeit eines Wissenskanon im Gymnasium zurückgeht, in dem Maße bekommt auch das Wissenschaftssystem auf seiner Reproduktionsseite immer weniger Leute, die mit dem wissenschaftlichen Wissen etwas anfangen können. Ein Beispiel: Es gibt relativ wenig naturwissenschaftlich gebildete Literaturwissenschaftler, es gibt auch relativ wenige gesellschaftswissenschaftlich gebildete Physiker. Die epistemische Spezialisierung der Wissenschaft bildet sich auch auf der sozialen Seite ab. Die Spannungen innerhalb des Wissenschaftssystems werden immer größer und die bildungsbürgerlichen Resonanzräume verfallen. Das ist deswegen von Belang, weil die deutschen Universitäten nicht darüber laufen – wie die guten amerikanischen Privatuniversitäten – dass sie im wesentlichen die Selbstreproduktions-Einheiten einer sehr zahlungskräftigen ökonomischen Elite sind.