Wie geht es weiter? – Ein Kommentar zum „Marsch für die Wissenschaft“

Posted on 24. April 2017

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Blogautor Wissenschaft kommuniziert

Von Reiner Korbmann

 

 

Es waren zwiespältige Gefühle, mit denen ich heute morgen, die „Süddeutsche Zeitung“ durchgeblättert habe, dem ersten Zeitungstag nach dem „Marsch für die Wissenschaft“. Vor allem mit meiner Erfahrung als Journalist und dem Wissen, was die Platzierung von Nachrichten in einer Zeitung bedeutet: Neun Zeilen zum „March for Science“ weltweit, mit Hinweis auf Budgetkürzungen in den USA, ein paar Zeilen mehr und ein großes Bild mit ein paar Leuten und bayerischen Bannern im Lokalteil (immerhin die Ziele des Marsches waren in aller Kürze gut dargestellt) und auf der Wissenschaftsseite eine große Reportage vom Marsch in Berlin mit vielen Einzelstimmen von Teilnehmern.

Zum ersten Mal versucht die Wissenschaft in Deutschland, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren und dann hat die allseits hoch geschätzte „Süddeutsche“ im Politikteil nur neun Zeilen dafür übrig – ohne diese Tatsache überhaupt zu erwähnen? Haben wir, die Betroffenen und Teilnehmer, da die Bedeutung des „Marsches für die Wissenschaft“ für die Gesellschaft maßlos überschätzt? Haben die politischen Journalisten gar nicht richtig verstanden (oder zugehört), worum es bei diesen Demonstrationen ging? Haben die Organisatoren ihre Botschaft nicht richtig rübergebracht? Oder hat wieder das alte Ressortdenken funktioniert (nach dem Motto: Hier geht es um Wissenschaft? Ab ins Ghetto Wissenschaftsseite!)?

Oder hat diese Gewichtung in der „Süddeutschen“ doch etwas Richtiges?

Natürlich waren die politischen Seiten voll mit dem Ergebnis der Frankreich-Wahlen und der Selbstzerfleischung der AfD. Doch Platz hätte sich gefunden, wenn die politischen Redakteure das gewollt hätten. Ein wenig Verständnis mag bei ihnen schon gefehlt haben, trotz der hervorragenden Begründung auf der Website „Marsch für die Wissenschaft“ in Deutschland (umso mehr Respekt vor dem Lokalredakteur, der sich – wegen einer Bildunterschrift – richtig mit den Zielen beschäftigt hat). Aber eines stimmt auch, und das muss man sich als Teilnehmer des Marsches bewusst machen: Der „March für die Wissenschaft“ mit über 35.000 Teilnehmern in Deutschland war nur ein kleines Ereignis für die politische Landschaft, nur eine von vielen Demonstrationen, auch  für die Stadt München (ebenso: Berlin und die anderen). Aber er war ein ganz wichtiges Ereignis für die Wissenschaft.

Auf Anregung und zur Unterstützung der amerikanischen Forscher, die für vitale, aktuelle Probleme ihrer Zunft in den USA demonstriert haben, sind in Deutschland Wissenschaftler für ein gesellschaftspolitisches Anliegen auf die Straße gegangen: Für politische Diskussionen und Entscheidungen, die auf Fakten aufbauen, nicht lediglich auf Befindlichkeiten. Sie haben damit dafür demonstriert, dass Werte, die in der Wissenschaft gang und gäbe sind, auch für eine funktionierende Demokratie essentiell sind: etwa Neues zu untersuchen, Ergebnisse ernst nehmen, Beurteilungsfreiheit, kritischer Austausch, die Bereitschaft zur Korrektur, zur ständigen Nachprüfung und auch zur Änderung, und schließlich zur Synthese unterschiedlichster Befunde.

Doch in einem konservativen System wie der Wissenschaft, wo es nicht nur um aktuelle Ergebnisse, sondern letztendlich um ewige Wahrheiten geht, stößt so etwas Neues auch auf große Skepsis. Entsprechend gab es Gegner dieser Demonstrationen in den USA, aber auch bei uns: Wissenschaft würde politisiert, sie würde ihre Unabhängigkeit verlieren, sie dürfe sich nicht mit aktuellen politischen Strömungen gemein machen. Vielleicht sind dies auch die Gründe, weshalb es nur halbherzige Unterstützung gab aus der deutschen Wissenschaft für die „Märsche für die Wissenschaft“. Die Allianz der wichtigen Forschungsorganisationen brauchte lange, bis sie ihre Unterstützung veröffentlichte, nur drei ihrer zehn Präsidenten traten als Redner bei den Demonstrationen auf, DFG-Präsident Strohschneider wurde wenigstens als Teilnehmer in München gesichtet. Die beiden großen Münchner Universitäten weigerten sich, die Demonstration offiziell zu unterstützen. In den Sozialen Medien gabe es mahnende und warnende Stimmen von Forschern. Und 35.000 Teilnehmer sind tatsächlich wenig, wenn man allein die große Zahl an Studenten (2,8 Millionen), Wissenschaftlern und Akademikern bedenkt.

Wenn Wissenschaft gesellschaftspolitisch sichtbar sein will – und sie muss es, wenn man die Bedrohung ihrer Privilegien durch die gesellschaftlichen Entwicklungen sieht, die DFG-Präsident Prof. Strohschneider plastisch im Interview „Das Ende der ‚Einsamkeit in Freiheit‘“ in diesem Blog geschildert hat. Wenn Wissenschaft also in der Gesellschaft gehört werden will, müssen die Vertreter einer gesellschaftspolitischen Kommunikation zu allererst Überzeugungsarbeit nach Innen leisten: Bei ihren Kollegen, bei den Wissenschaftlern, bei ihren Institutionen. Das ist ein langer Marsch.

Doch wer kann das tun? Natürlich sind Wissenschaftskommunikatoren zuerst aufgerufen, daran zu arbeiten. Das ist ihre eigentliche Aufgabe: Dafür zu sorgen, dass Wissenschaft und ihre Werte in der Gesellschaft eine Rolle spielen. Die Idee der „Märsche für die Wissenschaft“ aber wurde nicht nur von Menschen aus der Wissenschaft getragen, sondern von vielen, die mitgewirkt haben und eigentlich außerhalb dieses Sozialsystems in der Gesellschaft stehen. Sie gilt es zu integrieren und nachhaltig in ihrem Engagement für Wissenschaft und ihre Werte zu bestätigen.

„Wie geht es weiter?“, fragen sich auch die Initiatoren des Marsches in Deutschland und nutzten gleich die Energie der erfolgreichen Demonstration zu einem Aufruf an potenzielle Mitkämpfer für künftige Aktionen. Wer den Fragebogen für Motivierte genau ansieht, merkt allerdings auch, dass es noch wenig Ideen für Ziele und Aktionen in der Zukunft gibt. Man kann nicht jede Woche marschieren , nicht jeden Monat oder jedes Jahr. Nicht nur die Öffnung der Wissenschaft für ein gesellschaftspolitisches Engagement ist ein langwieriges Unterfangen, auch die Öffnung der Gesellschaft für die Rolle der Wissenschaft und ihrer Werte ist ein langer Marsch. Den kann nur eine Organisation oder Institution antreten und bis zum Ziel durchhalten, die gut verankert ist in der Gesellschaft, aber auch in der Wissenschaft. Die Organisatoren der „Märsche für die Wissenschaft“ werden das als Einzelkämpfer kaum schaffen.

In den USA hat die etablierte AAAS (American Association for the Advancement of Science) sehr schnell diese Aufgabe erkannt und engagiert sich entsprechend. So eine Organisation gibt es in Deutschland nicht. Es sei denn, man erinnert sich an die GDNÄ, die Wissensgesellschaft, wie sich die altehrwürdige Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte heute nennt (Die AAAS wurde sogar einmal nach ihrem Vorbild gegründet). Wäre das eine Chance, sowohl für eine Zukunft der gesellschaftspolitischen Sichtbarkeit der Wissenschaft, als auch für die GDNÄ? Ich selbst bin Mitglied, war zehn Jahre sogar Pressereferent dieser Gesellschaft: Ich bin skeptisch. Dazu müsste sich die traditionsreiche Vereinigung völlig neu erfinden.

Aber wenn die „Märsche für die Wissenschaft“ keine institutionelle Anbindung finden? Dann droht dieses tolle Ereignis, das Engagement der Organisatoren und der Teilnehmer, die Offenheit zahlloser Wissenschaftler mitzumachen, das Anliegen zu einer gelungenen gesellschaftspolitischen Kommunikation der Leistungen der Wissenschaft und ihrer Werte zu verpuffen: Eine Riesenchance, die als Eintagsfliege endet. Allein bei dem Gedanken werde ich traurig.