Zwölf Prozent: Wissenschaftskommunikation mit Wissenschafts-Skeptikern

Posted on 17. Oktober 2017

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Wenn es um das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft geht, sprechen wir oft von „der Bevölkerung“ oder „der Öffentlichkeit“  – als ob dies eine homogene Größe sei. Ganz und gar nicht! Nach dem  „Wissenschaftsbarometer 2017″ stehen in Deutschland den 12 Prozent der Bevölkerung, die der Wissenschaft „voll und ganz“ vertrauen( 37 weitere Prozent nur mit Vorbehalten), 12 Prozent der Bürger gegenüber, die den Experten der Forschung „eher nicht“ oder eindeutig „nicht“ vertrauen: Wissenschafts-Skeptiker. Die Folgen sind „Alternative Fakten“, „Fake News“ und irrationale Meinungsblasen in der Politik. Doch wie kann Wissenschaftskommunikation mit den Wissenschafts-Skeptikern umgehen? Ein Gastbeitrag von Dr. Elisabeth Hoffmann, Leiterin Presse und Kommunikation der Technischen Universität Braunschweig.

Dr. Elisabeth Hoffmann, Leiterin Presse und Kommunikation der Technischen Universität Braunschweig (und „Forschungssprecherin des Jahres 2015“).

„Eine Frage, die sich besonders vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um Expertenfeindlichkeit und fake news stellt, ist die nach dem Vertrauen der Menschen in Wissenschaft und Forschung. Zwölf Prozent der Befragten geben an, dass sie nicht in Wissenschaft und Forschung vertrauen. Jeder zweite Befragte bekundet Vertrauen. Der Rest (37 Prozent der Befragten) zeigt sich unentschieden.“ (Website Wissenschaftsbarometer 2017)

Ist dieses zusammengefasste Ergebnis des aktuellen Wissenschaftsbarometers 2017 besorgniserregend? Ich kann das nicht wirklich beurteilen. Etliche Studien befassen sich zurzeit mit den unentschiedenen 37 Prozent und den wirklich skeptischen zwölf. Ich möchte hier als Praktikerin über letztere sprechen. Spätestens, wenn Wissenschaftsskeptikerinnen in Schulen unterrichten, größere Anhängerschaften finden oder Abgeordnetenmandate gewinnen, also allerspätestens jetzt, können sie uns nicht gleichgültig sein. Meine These ist, dass die Wissenschaftskommunikation bisher nur sehr unzureichend auf sie vorbereitet ist.

Woher kommt das Unbehagen, das mich beschleicht, wenn ich die Leserkommentare in der Berichterstattung über aktuelle Wissenschaftsthemen sehe oder öffentliche Debatten organisiere? Die Furcht vor kritischen Auseinandersetzungen und Rückfragen ist es nicht. Wir haben es in Veranstaltungen häufig mit kritischen Fragen zu tun. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, mit denen ich zusammenarbeite, gehen damit in aller Regel gut um, geduldig, offen und auch wertschätzend. Denn das sind sie gewohnt: Kritische Fragen und Diskussionen gehören in die Wissenschaft.

Die Begegnungen mit Klimaskeptikern, Impfgegnern und Chemtrail-Überzeugten sind anders. Die Auseinandersetzungen mit ihnen werden schnell emotional und kosten Nerven.

Wer sind bloß diese Wissenschafts-Skeptiker?

Wer oder was sind eigentlich diese Menschen, die als Wissenschaftskritiker oder -skeptikerinnen sichtbar werden? Sie sind zunächst einmal sehr unterschiedlich. So gut wie nie sind sie insgesamt wissenschaftsfeindlich eingestellt, allenfalls expertenkritisch. Oftmals geht es ihnen um einen Erkenntniszweig, wie Evolutionstheorie, Klimawandel, Impfen/Infektionsforschung oder Ernährungswissenschaften. Andere beschäftigen sich mit Methoden wie etwa Tierversuche oder Stammzellforschung. Sie können zornig, ängstlich, aggressiv oder überlegen auftreten. Sie berichten über zum Teil glaubwürdige, manchmal herzzerreißende persönliche Schicksalsschläge, wie die missglückte Behandlung eines erkrankten Angehörigen, oder argumentieren ideologisch, politisch oder religiös. Manche sehen sich selbst als Experten und ziehen eigene „wissenschaftliche“ Untersuchungen oder selbst recherchierte „Belege“ heran, um die Überlegenheit ihrer Thesen gegenüber den etablierten „Lehrmeinungen“ zu untermauern. Was sie meines Erachtens eint, sind nicht ihre Thesen oder Informationsquellen. Die Wissenschaft kollidiert mit Werten, die ihnen jeweils wichtig sind.

Wer es in Veranstaltungen oder im sozialen Netz mit Strichcodes neutralisierenden Esoterikern, hoch emotionalisierten Impf- oder Tierversuchsgegnern zu tun hat, kommt mit der klassischen, informationsorientierten Kommunikation schnell an die Grenzen. Der faktenbasierte Diskurs kann hier keine Wirksamkeit entfalten. Zu Fakten gibt es keine Alternative, das Motto des Science March Germany, mag erkenntnistheoretisch stimmen. Leider straft die sozialpsychologische Wirklichkeit dies regelmäßig Lügen. Dort können beispielsweise Verschwörungstheorien und Relativismus („zu jedem wissenschaftlichen Beweis gibt es doch inzwischen einen Gegenbeweis“) durchaus einstellungsleitende Alternativen sein.

Es ist ja nicht so, dass den Kritikern nicht genug Fakten zur Verfügung stünden. Ihnen fehlt häufig die Deutungskompetenz. Und – ehrlich gesagt – wer hat die schon außerhalb des eigenen Fachs? Nicht einmal das größte Genie kann sich mit Infektionsbiologie, Nuklearphysik, Geologie und Elektrotechnik gleichzeitig ausreichend auskennen, um die Folgen des Impfens und von Endlageroptionen sowie die Ökobilanz des Elektromotors einschätzen zu können. Mit Fakten allein können wir Laien herzlich wenig anfangen – wir alle sind auf Expertinnen und Experten angewiesen. Wir kennen das von anderen Abhängigkeiten: Das Wissen darum macht uns nicht grundsätzlich froh. Als Bürgerinnen und Bürger müssen wir vertrauen, nämlich auf die Expertise und Integrität der Akteure im Wissenschaftssystem.

Vertrauen: Menschlich unabdingbar, wissenschaftlich unakzeptabel

Schon vierjährige Kinder haben ein Gespür dafür, wem sie vertrauen können und wem nicht. Auch im Erwachsenenalter prägen sich unsere Einstellungen zu komplexen Themen sehr schnell. Sie sind dann kaum mehr durch Fakten veränderbar. Allenfalls persönliche Gespräche können Meinungen und Einstellungen beeinflussen. Das konnte ich jetzt im Rahmen eines Verbundprojekts zur Eskalationsforschung an unserer Universität lernen.

Für die Wissenschaft ist das durchaus ein existenzielles Dilemma. Fakten sind ihr Kerngeschäft, Misstrauen steht ihr oft näher als Vertrauen, Persönliches gehört nicht ins Labor, in die Werkhalle oder an den Schreibtisch. Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Leidwesen von Journalistinnen und PR-Referenten pingelig sind, sich zieren, wenn es um Bewertungen geht, und sich mit Statements Zeit lassen, steckt meist mehr als nur Dünkel oder mangelndes Kommunikationstraining dahinter. Sie tun im Grunde ja nur das, wofür wir sie bezahlen: Sie sind genau und (selbst-)kritisch. Das soll hier nicht weiter Thema sein, aber ich finde, dass wir, bei aller Aufmerksamkeit, die die Wissenschaftskommunikation zurzeit erfährt, bisher zu wenig darüber diskutiert haben.

Auch die Wissenschafts-PR, die sich vom Verhaltenscodex der Wissenschaft emanzipieren könnte, handelt mit Sachinformationen. Sie ist an ihr Biotop Wissenschaftssystem gut angepasst. Auch  wenn wir heute wissen, dass das Defizitmodell, wonach Bürgerinnen und Bürger nur mehr Informationen brauchen, um der Wissenschaft zu folgen, überkommen ist, lesen sich unsere Presseinformationen immer noch so, als müssten wir die Zielgruppen beschulen, oder schlimmer noch, als seien die wissenschaftsinternen Relevanzkriterien wie eingeworbene Drittmittel und Preise von Fachgesellschaften für das geneigte Publikum schon Grund genug, zur Vernunft zu kommen.

Allzweckwaffe Storytelling?

Bevor die Kolleginnen und Kollegen jetzt protestieren: Natürlich greift das zu kurz. Natürlich können wir die unbestrittene Professionalisierung der Wissenschafts-PR ins Feld führen. Wir machen ja viel mehr als nur Presseinformationen. Unsere Medien und Veranstaltungen sind sozial, personalisiert, emotional, erlebnisorientiert. Storytelling ist ganz offensichtlich das PR-Gebot der Stunde. Gute Geschichten können Aufmerksamkeit erregen und fesseln. Wir erreichen damit viele Menschen.

Aber diejenigen, die wir einmal verloren haben, lassen sich auch damit nicht überzeugen. Im Gegenteil: Gerade dort, wo wir mit gut geschriebenen Geschichten das Herz ansprechen wollen, kann – wer misstrauisch ist – den Versuch der Suggestion erkennen.

So paradox das klingen mag: In der Kommunikation mit Skeptikern kann uns mitunter gerade die hart erarbeitete Professionalität im Wege stehen. Professionalität ist nämlich nicht mit Glaubwürdigkeit zu verwechseln. Gerade sein Mangel an Professionalität macht einen Donald Trump für seine expertenkritische Wählerschaft glaubwürdig, offensichtlich unabhängig davon, was er an dummem Zeug so von sich gibt. Gleichzeitig führt kein Weg zurück – unprofessionell zu werden ist keine Alternative. Das Dilemma der Wissenschaft habe ich schon angerissen. Voilà – hier ist nun unser Dilemma in der Wissenschaftskommunikation.

Was tun?

Es hilft nichts – wir werden uns genauer mit den Skeptikern befassen müssen. Schauen wir mal, ob sie uns so fremd sind, wie wir selbst gern denken. Wenn ich ehrlich bin, war ich selbst mindestens einmal emotional-wissenschaftskritisch. Jahrelang habe ich einen großen Bogen um das Thema Tierversuche an unserer Universität gemacht. Ich kann die Argumente für die Versuche nachvollziehen, bin aber emotional dagegen, dass Tiere leiden. Obwohl ich wusste, dass bei uns Tierversuche durchgeführt werden, habe ich gehofft, das Thema würde bei uns nicht öffentlich, also in meiner Arbeit einfach nicht vorkommen. Ich habe mich wohl davor gefürchtet, in der Diskussion darüber zu versagen. Vor vier Jahren hat eine Werbekampagne gegen die Universität Bremen dazu geführt, dass wir im Team die Versuchstierhaltung an unserer Universität besucht haben.

Was hat sich dadurch verändert? Meine Einstellung zu Tierversuchen ist nicht grundsätzlich gekippt, aber meine Angst, mich damit auseinanderzusetzen, ist nicht mehr groß. Ich fühle mich gut gewappnet für vernünftige, aber auch für emotionale Auseinandersetzungen zu dem Thema. Ich kann sagen, warum wir Tierversuche durchführen, wie viele bzw. wenig es sind, was dabei geschieht und wie es mir geht, wenn ich darüber kommuniziere.

Es geht in der Wissenschaftskommunikation um Werte

Wissenschaftsskeptiker sind keine Monster. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen.
(Grafiken: E. Hoffmann)

Nun habe ich beobachtet, dass ich auch auf Wissenschaftsskeptiker emotional reagiere. Vielleicht bin ich ja nicht die einzige, die so etwas erlebt. Ihre Thesen kollidieren mit den Werten, die ich verteidige. Ohne dass ich es merke, bringt mich das in wenigen Sekunden in die Defensive. Ich verliere meine Souveränität und werde ungeduldig, arrogant oder sogar sprachlos. Und das ist ziemlich das Schlimmste, was einer Sprecherin passieren kann.

Vielleicht hilft ja auch hier, was im Fall der Tierversuche geholfen hat: Sich stellen, genauer hinschauen, Fragen stellen, und vor allem erst einmal zuhören. Wie gesagt: Wissenschaftsskeptiker können sehr unterschiedlich motiviert sein. Vielleicht schauen wir mal genauer hin, wo jeweils der Schuh drückt. Vielleicht finden wir ja auch bei ihnen Werte, die wir teilen können, um erst einmal wieder auf eine gemeinsame Gesprächsbasis zu kommen. Vielleicht definieren wir aber auch für uns bei dieser Gelegenheit noch einmal deutlicher die Werte (statt der Fakten), die nicht verhandelbar sind.

Mir ist klar, dass wir auch dann die Hardliner nicht überzeugen werden. Ich glaube auch, dass es nicht allein der eigenen Überzeugung, sondern vor allem der Übung bedarf, um in hitzigen Debatten zu bestehen. Aber Souveränität, nämlich das Beherrschen der eigenen Schwächen, und die Bereitschaft zur Offenheit halte ich für unabdingbar, wenn wir den Abstand zu den Skeptikern nicht noch mehr vergrößern wollen.

„Die Wissenschaft muss lernen zuzuhören. Sprechen kann sie schon“, hat Johannes Vogel, der Generaldirektor des Berliner Naturkundemuseums, im April im Interview mit der ZEIT gesagt. Das geht mir seither nicht aus dem Kopf.

Dr. Elisabeth Hoffmann leitet seit 1996 die Abteilung „Presse und Kommunikation“ der Technischen Universität Braunschweig. Sie war von 2008 bis 2014 Vorsitzende des Bundesverbandes Hochschulkommunikation. Gemeinsam mit Markus Weißkopf organisiert sie den „Siggener Kreis“, der sich vor allem um die Qualität der Wissenschaftskommunikation bemüht. 2015 wurde sie zur „Forschungssprecherin des Jahres“ gewählt.