Alexander Mäder: Eintreten für die Wahrhaftigkeit #Wisskom-Journalismus

Posted on 5. Februar 2019

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Braucht die Wissenschaft ein Bündnis mit dem Journalismus? In seinem Diskussionsbeitrag betont Prof. Alexander Mäder, Wissenschaftsjournalist und Hochschullehrer die Notwendigkeit,  für Wahrhaftigkeit einzutreten, gemeinsam oder intellektuell unabhängig voneinander. Er lässt die Frage offen, ob – wie in den „Siggener Impulsen“ gefordert – es dafür ein Bündnis braucht, ob dies überhaupt sinnvoll wäre: 

Alexander Mäder, Wissenschaftsjournalist und Dozent an der Hochschule der Medien in Stuttgart. (Foto: Kai R. Joachim)In seinen Impulsen 2018 schreibt der Siggener Kreis, der Qualitätsjournalismus befinde sich in einer „Schicksalsgemeinschaft“ mit der Wissenschaft: „Er teilt die gleichen Werte. So wundert es nicht, dass Populisten alter und neuer Schule die beiden Institutionen ‚Journalismus‘ und ‚Wissenschaft‘ gezielt angreifen.“ Dieser Analyse habe ich in einem Kommentar auf Spektrum.de zugestimmt und der Schicksalsgemeinschaft noch das Publikum der Wissenschaftsjournalisten hinzugefügt. Wir alle sind betroffen, wenn es in einer öffentlichen Debatte nicht mehr darauf ankommt, wer das bessere Argument hat. Wenn es egal ist, ob auch stimmt, was man behauptet. Und wir alle können uns dagegen wehren, indem wir uns nicht auf das Spiel der Populisten einlassen, sondern so seriös weiterdiskutieren, wie es uns möglich ist. Dazu gehört, seine Behauptungen zu belegen und gelegentlich zu hinterfragen. Auf Spektrum.de schrieb ich: „Was für die Wissenschaft gilt, gilt auch für alle anderen, die an einem evidenzbasierten Diskurs interessiert sind: Man muss die Grenzen seines eigenen Wissens und die eigenen Fehler anerkennen und deutlich machen.“

In diesem Blog möchte ich die Gelegenheit nutzen, genauer zu erklären, wie das gemeinsame Eintreten für die Wahrhaftigkeit aussehen könnte. Natürlich behalten die Akteure ihre unterschiedlichen Rollen. Das bedeutet vor allem, dass Journalisten in ihrer Berichterstattung unabhängig bleiben, sonst würden sie ihren Job nicht mehr richtig machen. Forschungseinrichtungen sollten Journalisten zum Beispiel nicht dafür bezahlen, um über bestimmte Forschungsergebnisse zu berichten – das ist klar. Doch wie nah dürfen sich Journalisten und Wissenschaftler stehen, ohne dass der berechtigte Verdacht aufkommt, der Journalist könnte nur aus Gefälligkeit über ein bestimmtes Forschungsergebnis berichten?

Ich kenne keine Regel, die die nötige intellektuelle Unabhängigkeit garantiert. Aber ich kenne die journalistische Pflicht, sich über mögliche unerwünschte Einflüsse Gedanken zu machen, auch wenn das unangenehm sein kann. Und es gibt die Verantwortung dem Publikum gegenüber, in dessen Auftrag Journalisten recherchieren und berichten. Das ist auch das Ergebnis von Bill Kovach und Tom Rosenstiel nach vielen Interviews mit US-amerikanischen Journalisten. In ihrem Buch „The Elements of Journalism“ ziehen sie dieses Fazit: „Am Ende unterscheiden den Journalisten vom Aktivisten ein gutes Urteilsvermögen und ein beharrliches Festhalten am Grundsatz der Loyalität gegenüber dem Bürger.“

Aber das heißt ja nicht, dass Journalisten nicht auch jenseits von offiziellen Interviews mit Wissenschaftlern reden dürfen. Es bedeutet auch nicht, dass Journalisten nicht gelegentlich mit Wissenschaftlern einer Meinung sein dürfen. Und es schließt gemeinsame Aktionen nicht aus. All das gibt es auch schon: Auf der WissensWerte und dem Forum Wissenschaftskommunikation treffen die Berufsgruppen jedes Jahr aufeinander und diskutieren nicht zuletzt über die Herausforderung durch den Populismus. Und beim „March for Science“ sind auch Journalisten mitmarschiert.

Wenn hiergegen Einwände erhoben werden, dann liegt dem oft ein Missverständnis zugrunde: Wer sich der Wissenschaft verpflichtet fühlt, weil ihre Methoden besonders zuverlässige Erkenntnisse versprechen, der stimmt damit nicht gleich jedem Forschungsprojekt und jeder wissenschaftlichen Einrichtung zu. Forschung kann auch schlecht sein, das ist gerade aufgeklärten Menschen sehr bewusst. Wenn sich Journalisten mit Wissenschaftlern zusammentun, dann also wegen einer Idee und nicht wegen einer Institution. Der Kommunikationswissenschaftler Stephan Ruß-Mohl hat es in diesem Blog so formuliert: „Gemeinsames Interesse an der Wahrheitssuche, aber auch klar definierte Rollenabgrenzung“.

Das gemeinsame Eintreten für die Wahrhaftigkeit sollte daher nicht in eine PR-Kampagne für eine bessere Finanzierung der Wissenschaft münden. Ich denke vielmehr an einen Austausch darüber, wie man mit der Evidenz verantwortungsvoll umgeht. Mir sind in diesem Zusammenhang viele Punkte noch unklar. Um nur drei zu nennen:

  • Wie kommt man mit Menschen ins Gespräch, die ganz andere Ansichten darüber haben, wie die Welt funktioniert oder funktionieren sollte? Natürlich bei einem Bier, sagt die Firma Heineken – und deutet in einem eindrucksvollen Werbevideo an, wie es gehen könnte. Die Initiative Wissenschaft im Dialog und einige Forschungsinstitute erforschen genauer, wie man wissenschaftsferne Zielgruppen erreicht.
  • Wie gewinnt man als Journalist heute noch Aufmerksamkeit für eine sorgfältige Würdigung der Evidenz? Solche Berichte sind verdienstvoll, aber nicht klickträchtig. Und Facebook wertet seit zwei Jahren Links auf Nachrichten in seinem Newsfeed ab. Einige Websites bekommen seitdem deutlich weniger Leser zugespielt. Der Shorenstein Center der Harvard University berichtet aber, dass das nicht für alle Websites gleichermaßen gilt.
  • Wie schützt man sich vor den Faktoren, die das rationale Denken verzerren? Die Psychologie und Verhaltensökonomie haben eine ganze Reihe solcher Faktoren etabliert. Derzeit wird zum Beispiel untersucht, ob Menschen ausgerechnet ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten nutzen, um sich die Fakten so zurechtzubiegen, dass sie zu ihren politischen Überzeugungen passen. Dan Kahan von der Yale University fasst die bisherigen Erkenntnisse im „Scientific American“ zusammen und empfiehlt als Gegenmittel, neugierig zu bleiben. Neugierige Menschen seien politisch weniger polarisiert.

Darüber hinaus können sich Wissenschaftler, Pressesprecher, Journalisten und Bürger dagegen wehren, wenn Evidenz missachtet wird. Nicht mit Absprachen und gemeinsamen Stellungnahmen, aber unter Bezug auf dieselben Prinzipien. Ein aktuelles Beispiel aus der Debatte um Stickoxide und Feinstaub hat Jens Rehländer, Sprecher der Volkswagen-Stiftung, in seinem persönlichen Blog diskutiert: Er beschwört dort die Wissenschaft, mit einem „kraftvollen öffentlichen Auftritt die Unabhängigkeit und ‚Wahrhaftigkeit‘ von Wissenschaft gegen Meinungsmacher und Realitätsverzerrer zu verteidigen“. Im aktuellen Fall haben das die Wissenschaftsjournalisten übernommen, was Rehländer anerkennt. Eine vernehmbare Kritik aus mehreren Quellen – warum nicht auch von Bürgern und aus der Zivilgesellschaft? – würde helfen, die Wahrhaftigkeit als Grundlage öffentlicher Diskurse zu erhalten.

Prof. Dr. Alexander Mäder lehrt an der Hochschule der Medien im Studiengang Crossmedia-Redaktion/Public Relations und arbeitet nebenberuflich als Wissenschaftsjournalist, vor allem für RiffReporter.de.