An den Grenzen der Wissenschaftskommunikation – Gibt es die? #fwk19

Posted on 16. Dezember 2019

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Blogautor Wissenschaft kommuniziert

Hingucker für Wissenschaft? Kunst eröffnet neue Denkräume, aber dient sie auch der Wissenschaftskommunikation? Ein Bericht vom 12. Forum Wissenschaftskommunikation.

Manchmal ist es gut, wenn die Absicht eines Veranstalters schief geht. Etwa weil dann die wirklich wichtigen und aktuellen Dinge in den Mittelpunkt rücken. So war es beim 12. Forum Wissenschaftskommunikation #fwk19 in Essen: Eigentlich sollte Wissenschaftskommunikation und Kunst das Leitthema der Tagung sein. Doch schon der Eröffnungsredner, der exzellente Ire Prof. Michael John Gorman, seines Zeichens Gründungsdirektor des Biotopia Naturkundemuseums in München und vorher Gründer der Science Gallery des Trinity College in Dublin, machte klar: Die Begegnung von Wissenschaft und Kunst ermöglicht zwar neue Denkanstöße und Denkräume für die Wissenschaft, für die Wissenschaftskommunikation aber bringt sie nichts.

Nicht allein deswegen stand die Kunst in den folgenden zwei Tagen eher etwas am Rande des Forums, in den Mittelpunkt rückte vielmehr aus aktuellem Anlass (in Madrid rang die Weltklimakonferenz um weitere kleine Schritte und Greta Thunberg wurde gerade vom Time-Magazin zur Persönlichkeit des Jahres 2019 ernannt) das Klima und die Kommunikation der Klimaforschung – beziehungsweise das gesellschaftspolitische Engagement von Wissenschaftlern.

Verlagerter Schwerpunkt: Hella Grenzebach von WiD eröffnet das 12. Forum Wissenschaftskommunikation in Essen.

„… und dann kam Greta Thunberg“ lautete der Titel einer Fishbowl-Diskussion (die – passend zu den Intentionen des Veranstalters – in einem kleineren, abgelegenen Saal stattfand, aber eine von den zwei von mir besuchten Sessions war, bei denen die Stühle für die Zuhörer kaum ausreichten). Hier erläuterte der Leiter Öffentlichkeitsarbeit des Geoforschungszentrums Potsdam, Josef Zens, warum und wie sich Wissenschaftler von einer Schülerin motivieren lassen, als „Scientists for Future“ auf die Straße zu gehen und mit Tausenden von Schülern zu demonstrieren. Und die Passauer Professorin für Wissenschaftskommunikation, Prof. Hannah Schmid-Petri versuchte, den Wissenschaftskommunikatoren zu erklären, warum eine 16-jährige in kürzester Zeit das schaffte, worum jene sich mit ihren Wissenschaftlern seit Jahren vergeblich bemühen: den Klimawandel in die erste Priorität der politischen und gesellschaftlichen Agenda zu bringen.

Kann Wissenschaft mehr kommunizieren als Fakten?

Josef Zens sprach auch als erster von einer Grenze der Wissenschaftskommunikation: Wenn alle wichtigen Fakten auf dem Tisch liegen – und das tun sie wohl beim Klimawandel – gibt es nichts Wissenschaftliches mehr zu kommunizieren, der Rest ist politische Kommunikation – das Abwägen und Ausgleichen, das Finden von Benachteiligten, das Einfordern von Rechten und Privilegien, das Entdecken möglicher Handlungsstränge. Da könne die Wissenschaftskommunikation nichts mehr beitragen.

Fishbowl-Diskussion um die Kommunikation von Klimaforschung: Am Mikrophon: Prof. Schmid-Petri.

Ist das so? Diese Haltung gab mir zum Nachdenken. Zumindest kann man das auch anders sehen. Etwa wenn man bedenkt, dass die Klimaforschung eine sehr spezielle Disziplin ist, ganz anders als etwa die Physik, die Archäologie oder die Chemie, ja selbst die (ähnlich gelagerte) Biodiversitätsforschung. Die Klimaforschung ist gesellschaftsnah, bei ihr geht es nicht nur um Treibhausgase in der Atmosphäre oder Anstieg von Temperaturen – ihre Ergebnisse sind unweigerlich mit der Herausforderung verbunden, große gesellschaftliche Veränderungen zu bewältigen. Man nennt dies „transformative Wissenschaft“. Geprägt hat diesen Begriff 2014 der Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Prof. Uwe Schneidewind (Mehr dazu hier im Blog: „Vom Verständnis zur Verständigung“ von Volker Meyer-Guckel). Interessanterweise trat Schneidewind auch auf dem Forum Wissenschaftskommunikation in Essen auf, doch in einer ganz anderen Rolle – davon später mehr.

Klimaforschung, die „transformative Wissenschaft“

Klimaforschung ist wohl das aktuellste Beispiel für „transformative Wissenschaft“. Die hartnäckigen Verteilungskämpfe auf der Weltklimakonferenz, die Milliarden für das Braunkohlerevier in der Niederlausitz, auf der anderen Seite die Dürren in Deutschland 2018 und 2019 sowie die Demonstrationen von „Friday for Future“, sie alle zeigen die gesellschaftlichen Wirkungen. Wenn aber eine Wissenschaft so tief in die Gesellschaft eingreift, kann sie mit ihrer Kommunikation dann bei der Vermittlung von Fakten haltmachen? Eigentlich nicht, eigentlich muss sie Stellung beziehen, Politik und Öffentlichkeit beraten und auch einmal mahnend die Stimme erheben, wenn aus ihrer Sicht gesellschaftliche Maßnahmen nicht ausreichen oder in eine falsche Richtung gehen. So wie dies das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) zum Klimapaket der Bundesregierung getan hat. Vor allem aber muss sie ihren Forschungsansatz zum Klimawandel breit anlegen, nicht nur die Vorgänge in der Ökosphäre untersuchen, sondern auch wirtschaftliche, soziale, kulturelle Auswirkungen berücksichtigen.

Gesellschaftliches Bewusstsein der Wissenschaft? Zuhörer beim 12. Forum Wissenschaftskommunikation in Essen.

Voraussetzung dafür aber ist, dass sich auch die Wissenschaftler ihrer gesellschaftlichen Rolle bewusst sind, dass sie darüber nachdenken, welche Folgen eine Erwärmung des Klimas – oder aber die Vermeidung des Ausstoßes von Treibhausgasen – für viele Millionen Menschen hat, und welche Stellschrauben angefasst werden müssen, um die Veränderungen für diese Menschen erträglich zu machen. Wenn nicht, endet die Wissenschaft wohl da, wo die Fakten sind – und damit auch die Wissenschaftskommunikation. Sie hat Grenzen.

Erst wenn ein gesellschaftspolitische Bewusstsein bei den aktiv Forschenden verankert ist, ist auch die Wissenschaftskommunikation für gesellschaftspolitische Stellungnahmen legitimiert. Doch daran darf man Zweifel haben. Wenn ich allein die Fakten betrachte, die regelmäßig vom Weltklimarat IPCC, dem globalen Gremium der Klimaforscher, publiziert werden. Da dreht es sich vor allem um Treibhausgas-Emissionen, um Temperaturgrade und Ähnliches, selten einmal ein wissenschaftliches Statement zu sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Folgen. Die Sichtweise wirkt eingeengt. Und damit hat Josef Zens wohl recht: Wissenschaftskommunikation hat Grenzen – nämlich dort, wo die Wissenschaftler mit ihrem Bewußtsein und ihren Forschungsergebnissen nicht weiter gehen. Das gilt auch für eine Wissenschaft, die mit ihren Ergebnissen gehörige Konsequenzen für die Gesellschaft hat.

„Transformativ“ – die Zukunft der Wissenschaftskommunikation?

Warum das so wichtig ist? Nun die nächsten „transformativen Wissenschaften“ kündigen sich schon an. Man bedenke nur, welche Auswirkungen die Forschungsarbeiten zur Künstlichen Intelligenz auf viele Bereiche der Gesellschaft und des täglichen Lebens haben werden. Auch da werden Wissenschaftler ihre Rolle nicht ausfüllen, wenn sie sich nur als unbeteiligte Faktengeber und Berater der Politik verstehen. Da müssen sie schon mit ihren Forschungen und mit ihren Lösungen dafür sorgen, dass Künstliche Intelligenz auch in punkto Sicherheit, Persönlichkeitsrechte, Menschenwürde und vielen weiteren Aspekten gesellschaftlich verträglich bleibt. Und weitere „transformative“ Forschungsbereiche“ kündigen sich an, etwa die Anwendung von „Crispr/Cas“-Technologien in der Gentechnik.

Doch Wissenschaftskommunikator Josef Zens, so strikt er die Grenze der Wissenschaftskommunikation zur gesellschaftlichen Einmischung zieht, ist selbst jemand, der sich offensichtlich seiner Rolle in der Gesellschaft bewusst ist. Ein Grund, weshalb er in Berlin zum Mitbegründer der „Scientists for Future“ wurde. Sein Argument: Die Schüler berufen sich bei ihren Demonstrationen immer wieder auf wissenschaftliche Fakten „Listen to Science“, so sollten andererseits auch Wissenschaftler bereit sein, sie als Faktenlieferanten und als Rückendeckung zu unterstützen. Mehr als 30.000 Wissenschaftler sind bisher diesem Aufruf gefolgt, viele von Ihnen marschieren mit bei den Schülerdemonstrationen des „Friday for Future“.

Das wirft natürlich wieder die Frage auf, ob sich Wissenschaftler gesellschaftspolitisch engagieren sollen, entsprechende Kritik gibt es an „Scientists for Future“. Die Initiative „March for Science“, die in die gleiche Richtung lief (siehe auch : „Der „Marsch für die Wissenschaft“ ─ Vier Gedanken und ein Fazit“) ist praktisch eingeschlafen. Vielleicht lernen die „Scientists for Future“ aus den Fehlern. Aus meiner Sicht ist gesellschaftliches Engagement von Wissenschaftlern unbedingt notwendig, wenn sie sich nicht dem Verdacht aussetzen wollen, sich in der Gesellschaft eher an den Rand zu stellen. Das wäre in Zeiten einer zunehmenden Entfremdung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verhängnisvoll.

Das Rätsel Greta Thunberg und die Folgen

Das Rätsel: Ein zorniges Mädchen erreicht mehr als Wissenschaftler und Kommunikatoren in Jahren: Greta Thunberg. (Foto: Anders Hellberg/CC)

Aber wir waren bei Greta Thunberg: Warum, so die drängende Frage der Kommunikatoren, konnte dieses Mädchen etwas schaffen, woran Tausende von Wissenschaftlern und Hunderte von Kommunikatoren weltweit jahrelang gescheitert sind? Prof. Schmid-Petri, die Kommunikationsspezialistin, hatte zunächst eine klare Negativ-Antwort: „Fakten schaffen keine Emotionen.“ Und ohne Emotionen bewegt sich nichts im gesellschaftlichen Raum. Greta Thunberg hat – wahrscheinlich ohne es zunächst selbst zu ahnen – das Thema Klimaschutz genau zum richtigen Zeitpunkt, als richtige Person und mit dem richtigen Argument aufgegriffen:

  • Der Zeitpunkt: Die wesentlichen Fakten der Klimaforscher lagen seit vielen Jahren auf dem Tisch (ich selbst habe als einer der ersten Journalisten in Deutschland bereits 1975 über den Klimawandel berichtet, die wichtigsten Fakten, etwa die Zwei-Grad-Grenze, waren schon damals enthalten und wurden seitdem immer wieder bestätigt und ergänzt), die Politik hatte das Thema erst entdeckt und dann wieder abgelegt, das globale Klimaabkommen zwar erreicht, aber ohne praktische Umsetzung gelassen; Temperaturrekorde, Hitzewellen und Dürrekatastrophen in vielen Ländern drängten das Problem in die Schlagzeilen, machten Klimaveränderungen körperlich erfahrbar.
  • Die Person: Ein junges Mädchen hat sich einer Sache kompromisslos verschrieben, sie besitzt charismatische Ausstrahlung, sie ist nicht herausragende Leitfigur, sondern eine von ihnen, jeder junge Mensch kann sich mit ihr identifizieren; zeigt Stärke trotz ihrer scheinbaren Schwäche, provoziert, indem sie Schüler auffordert Schule zu schwänzen.
  • Das Argument: „Ihr zerstört unsere Zukunft“ – welcher Vater oder Mutter kann da unberührt bleiben, das trägt die Diskussionen in die Familien hinein: Es geht um uns jumge Menschen, nicht um euch Erwachsene. Wir sind die Zukunft, die das ausbaden muss, wir die Schüler, über die bisher vor allem gesprochen wurde, wir werden selbst zu Akteuren.

Alle drei Faktoren, so Prof. Schmid-Petri, spielen zusammen, um Greta Thunberg und die Bewegung, die sie losgetreten hat, zum Medienthema zu machen. Und damit kam das Klima innerhalb von wenigen Monaten ganz oben auf die politische Agenda.

Voller Saal: Die Lesung von Humboldt-Texten durch David Bennet und Antje Boetius war ein Highlight des Forums. (Foto:WiD)

Es gab beim Forum Wissenschaftskommunikation noch weitere Sessions, wo es um Klimakommunikation, um Wissenschaft und Gesellschaft ging – glücklicherweise, denn dies scheint eines der wichtigsten Probleme der Wissenschaftskommunikation in der kommenden Zeit zu werden. Große Erkenntnisse aber lieferten die Podiumsdiskussionen über Forschende in gesellschaftlichen Debatten oder über die gesellschaftliche Verantwortung der Hochschulen nicht. Auch nicht das Abendprogramm zur Zukunft der Wissenschaftskommunikation aus Anlass des 20. Push-Jubiläums. Immerhin Greta Thunberg gab auch in diesem Umfeld Anstoß zum Nachdenken.

Zwei Sessions aber will ich doch noch erwähnen, wo Wissenschaft auf Kunst traf – und dies ganz unterschiedliche Einsichten vermittelte: Zum einen die Lesung aus Humboldts Tagebüchern mit Zwischentexten der Meeresforscherin Prof. Antje Boetius, die nicht nur Chefin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven ist sondern auch Vorsitzende des Lenkungsausschusses des Forum-Veranstalters „Wissenschaft im Dialog“. Die Humboldt-Auszüge las der Schauspieler David Bennent, vielen noch immer bekannt als eindrucksvoller Oskar aus der Verfilmung der „Blechtrommel“. Hier waren es nicht allein die Texte, die Alexander von Humboldt vor über 200 Jahren schrieb – über Naturschutz und -zerstörung – sondern auch die sparsame und beeindruckende Inszenierung: Auf der Bühne ein Globus, zwei Tische, alte Reisekoffer und Bücher, ein Tisch mit einem Tuch verhangen, das Dekor Tropenpflanzen, ähnliches Dekor auf der Bluse von Antje Boetius, die in expeditionstauglichen Lederjeans auftrat, und im Hintergrund Projektionen von Bildern aus Büchern Humboldts, die nach und nach duch überlagerte Zeichnungen zu Darstellungen der modernen Welt verändert wurden und so die Zerstörung durch Eroberung noch einmal bildlich darstellten. Mein Fazit: Anspruchvoll, anregend und mitreißend – ein großes Stück, das mit all der sachlichen Information gerade auch die Emotionen packt. Ihm wären viele Zuschauer zu wünschen. So kann Wissenschaftskommunikation sein.

Die Wissenschaftlerin und der Schauspieler: Ideale Ergänzung um über 200 Jahre alte Sorgen um Umweltzerstörung darzustellen.

Eine andere Session, zum Abschluss des Forums, behandelte auch die Begegenung Wissenschaft und Kunst. Und zwar hatten der Opernintendant der Wuppertaler Bühnen, Berthold Schneider, und der Chef des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Prof. Uwe Schneidewind – ja, der Schneidewind, der sich intensiv mit „transformativer Forschung“ beschäftigt– für drei Wochen die Arbeitsplätze getauscht. Launig berichteten beide auf der Bühne von ihrer sorgfältigen Vorbereitung der Aktion und den Erfahrungen im fremden Job: Der Opernintendant empfand Besprechungen bei den Wissenschaftlern wegen der nüchternen Sprache, der distanzierten Darstellungen in den Vorträgen und der rationalen Argumentation als geradezu einschläfernd. Der durchaus muntere Wissenschaftler gestand als seine größte Enttäuschung ein, dass ihn die engagierten und heißblütigen Künstler und Mitarbeiter der Oper als langweilig betrachteten.

Nun ja, so weit liegen die Welten auseinander, wenn es zu direkten Begegnungen kommt. Aber vielleicht entschließt sich der Veranstalter des Forums Wissenschaftskommunikation ja beim nächsten Mal, Prof. Schneidewind mit Kollegen und Kommunikatoren einmal über „transformative Forschung“ diskutieren zu lassen. Denn die wird eine der kommenden großen Herausforderung der Wissenschaftskommunikation sein, vor allem aber auch des wissenschaftlichen Rollenverständnisses. Das wird bestimmt nicht langweilig. Vielleicht sogar erkennen wir dann eindeutig, ob die Wissenschaftskommunikation Grenzen hat und wo sie verlaufen.