Wer im Saurier-Saal des Senckenberg-Museums in Frankfurt einer Podiumsdiskussion lauscht, der erwartet zumindest eine historische Einordnung des Themas. Schließlich blicken buchstäblich Millionen Jahre auf Redner und Zuhörer herab – Saurierskelette, die daran erinnern, wie schnell momentane Veränderungen der Umwelt eine weltbeherrschende Spezies zum Untergang verdammen. Doch von historischen Dimensionen war bei der Diskussion „Wissenschaftsjournalismus & Neue Medien“ im Rahmen des Senckenberg-Kongresses „Exhibit Nature & Explain Science“ wenig zu spüren.
Es ging vor allem um Blogs, um Wissenschaftler, die sich auf diesem Weg direkt an die Öffentlichkeit wenden, und um Wissenschaftsjournalisten, die dadurch teilweise ihre eigene Bedeutung bedroht sahen. Für den bloggenden Forscher, der auf dem Podium saß – dem Biologen Tobias Maier, ist es vor allem der Spaß, zu bloggen, verbunden mit ein wenig „Werbung für die Wissenschaft“, wie er sagt. Mehr nicht. Der Journalist Alexander Stirn sieht in seinem Blog zur Raumfahrt vor allem ein Experimentierfeld. Die Professorin für Wissenschaftsjournalistuik Anette Leßmöllmann sieht in Blogs wenigstens die Möglichkeit für freie Journalisten, ohne die Vorgaben und Einschränkungen von Redaktionen zu publizieren. Ein Stück Freiheit. Aber das sind schon die tiefgehendsten Statements zur Welt der Blogs, die vom Podium fielen. Da warf wenigstens Martin Schneider, Vorsitzender der Wissenschaftspressekonferenz, aus dem Publikum das Stichwort von der schwindenden Deutungshoheit der Journalisten in die Diskussion – ohne großes Echo. Grundsätzlicheres ist nicht zu hören.
Das klingt wie die Diskussion um die kurzfristigen Hypes der vergangenen Jahre: „ein Stück Freiheit“, Spaßfaktor“, „Experimentierfeld“.Wer erinnert sich heute noch an „Second Life“ oder Dutzende ähnlicher Hypes? Blogs aber – das stellte Moderator Marc Scheloske in Frankfurt gleich zu Beginn heraus, und das ist auch meine feste Überzeugung – sind nicht nur ein kurzer Hype, sondern der Beginn einer neuen Medienform, der dezentralen Medien.
Die herkömmlichen Medien, wie Rundfunk, Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften, geben wenigen (Journalisten, Intendanten, Verlegern usw.) die Macht, ihre Meinung an viele zu verbreiten. Mit Blogs haben alle die Möglichkeit, mit ihrer Meinung weltweit, bundesweit oder in bestimmten Kreisen Gleichgesinnter gehört zu werden. Das ist ein historischer Sprung. Doch von diesen Dimensionen war nichts zu hören im Sauriersaal.
Und natürlich hat eine derartige Veränderung der Infomations-Umwelt weitreichende Auswirkungen: Jeder kann weltweit verbreiten, was er für richtig hält – keine Kontrolle möglich, keine Qualifikation erforderlich – das ist totale Informationsfreiheit. Doch wie zuverlässig sind Informationen in Blogs, wie kann der Leser zwischen seriös recherchierten und einseitigen, möglicherweise nur interessengesteuerten Informationen unterscheiden? Führt dies zu einem generellen Verlust an Glaubwürdigkeit oder an Informationsqualität in unseren demokratischen Gesellschaften, die auf Informationen angewiesen sind? Braucht man am Ende gar noch professionell ausgebildete Journalisten, sind sie vielleicht die Dinosaurier der neuen Medienwelt, wenn ein Wissenschaftler mit Spaß an der Sache genügt? Das ist der Preis der neuen Freiheit: Fragen über Fragen, die sich auftun, die noch niemand beantworten kann, und dennoch müssen sie immer und immer wieder gestellt werden. Das wurde in Frankfurt verpasst.
WeiterGen
18. Juni 2012
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Marc Scheloske
11. Juni 2012
Lieber Reiner Korbmann,
vielen Dank für diesen Rückblick auf die Frankfurter Diskussionsrunde. Der Feststellung, dass es im Zusammenhang mit den oben angesprochenenen Veränderungen der Medienlandschaft noch viele offene Fragen gibt, möchte ich sicher nicht widersprechen. Ich hatte selbst noch 1-2 Themen auf meinen Fragenzetteln, die ich (wir hatten halt doch nur knapp 60 Minuten Zeit) leider nicht mehr losgeworden bin.
Allerdings möchte ich doch einige Punkte reklamieren bzw. ergänzen:
Z.B. haben wir die oben aufgeworfene Frage („wie zuverlässig sind Informationen in Blogs, wie kann der Leser zwischen seriös recherchierten und einseitigen, möglicherweise nur interessengesteuerten Informationen unterscheiden?“) durchaus eingehend auf dem Podium diskutiert. Die Orientierung innerhalb der stärker fragmentierten (Online-)Medien, die Frage, wie man die fragwürdige Spreu vom zuverlässig recherchierten Weizen trennt, wurde definitiv behandelt. (Kritisches Hinterfragen und Einordnung von Autor und Quelle, Zuhilfenahme von Online-Feedback und Kommentaren, um sich ein eigenes Bild von der Seriösität zu machen etc.)
Ein weiterer Punkt: Wissenschaftsblogger Tobias Maier hat auf meine Frage nach seiner Motivation nicht nur geantwortet, dass ihn der Spaß und die Lust „Werbung für die Wissenschaft“ zu machen antreibt. Er hat auch ausdrücklich erwähnt, dass er sein Blog gelegentlich auch dazu nutzt, um ein Gegengewicht zu erstens unwissenschaftlichen Informationen, zweitens schlecht recherchierten wissenschaftsjournalistischem Artikeln zu bilden. Er sprach dabei auch von „Korrektiv“, was ich ganz interessant fand.
Und (das jetzt auch wirklich meine letzte Ergänzung) auch die Ausführungen von Alexander Stirn waren in meinen Augen sehr informativ. Denn er erklärte einerseits zwar, dass die meisten Wissenschaftsblogs (die von ihm als „Fanblogs“ bezeichnet wurden) für ihn aus wissenschaftsjournalistischer Perspektive nicht interessant seien, andererseits wies er darauf hin, dass es für ihn in seinem Spezialgebiet sicher 4-5 Wissenschaftsblogs gebe, die für ihn in seiner journalistischen Arbeit bereichernd seien und die er nicht mehr missen möchte.
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