Forum Wissenschaftskommunikation – Wo bleiben die Akteure?

Posted on 11. Dezember 2014

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Wissenschaftskommunikations-Kongress in der Kongressmaschine - Kongresshotel am Templiner See.

Wissenschaftskommunikations-Kongress in der Kongressmaschine – Kongresshotel am Templiner See.

Zugegeben, diskutiert wurde viel und heftig, mehr und besser als früher. Zugegeben, die Vorträge waren informativ, auf einer Ebene, die weit über das früher übliche „Best Practice“ hinausging – da konnte man etwas lernen. Zugegeben, die Atmosphäre der Begegnung war hervorragend, die Tagungsorganistion und –infrastruktur bestens. Und dennoch hat in Potsdam das „7. Forum Wissenschaftskommunikation“ von „Wissenschaft im Dialog (WiD)“ die Erwartungen nicht erfüllt, die es selbst geweckt hatte. Hier eine kurze Bilanz und Berichte, von den dennoch interessanten Diskussionen und Vorträgen dieses größten Treffens der Wissenschaftskommunikation in Deutschland. (Da wir in Potsdam gehört haben, dass es selbst in den USA keine ähnliche Veranstaltung gibt, eventuell sogar ganz einzigartig?)

Fangen wir bei den schlechten Nachrichten an, um mit dem Positiven aufzuhören. „Akteure und Rollen in der Wissenschaftskommuniation“ versprach das Thema des diesjährigen Forums. Doch die Zahl der Akteure blieb begrenzt. Natürlich waren da die Forschungssprecher (oder Wissenschaftskommunikatoren, wie sie hier durchgehend benannt wurden). Insgesamt über 580 an der Zahl – beeindruckend. Ein Politiker ließ sich blicken und hinterließ einen guten Eindruck. Und dann waren da als Akteure die Wissenschaftsjournalisten: Gleich drei Diskussionen, die für die Zuhörer spannend, zum Teil heftig und emotional geführt wurden, drehten sich um die Rollenverteilung von Wissenschaftskommunikatoren und Wissenschaftsjournalisten („Wer spricht für die Wissenschaft?“, „Gaubwürdigkeit und Werte in der Wissenschaftskommunikation“,  „Corporate Publishing und die Krise des Wissenschaftsjournalismus“).

Umschwärmter Star des Forums Wissenschaftskomunikation - Dietram Scheufele aus den USA im Gespräch mit Teilnehmerinnen.

Umschwärmter Star des Forums Wissenschaftskomunikation – Dietram Scheufele aus den USA im Gespräch mit Teilnehmerinnen.

Tatsächlich, darüber wurde viel gesprochen: die Krise des Wissenschaftsjournalismus (die mir als langjährigem und begeisterten Wissenschaftsjournalisten furchtbar zu Herzen geht, aber dennoch schaue ich den Tatsachen ins Auge). Die Krise, das ist zunächst eine materielle – die Redaktionen werden angesichts der Erlösprobleme im Verlagswesen drastisch gekürzt, in den USA ist die Zahl der Zeitungen mit eigenen Wissenschaftsredaktionen seit 1989 von 96 auf rund 20 geschrumpft – entsprechend sind Arbeitsplätze weggefallen und Aufträge für Freie Journalisten – in Deutschland sieht es nicht viel besser aus.

Entdeckt die Politik die Wissenschaftskommunikation? - Parl. Staatssekretär Stefan Müller bei der Eröffnung.

Entdeckt die Politik die Wissenschaftskommunikation? – Parlanetarischer Staatssekretär Stefan Müller bei der Eröffnung.

Die Krise, das ist vor allem aber auch eine Krise der Bedeutung: Wissenschaftsjournalisten haben durch die Publikationsmöglichkeiten im Internet und Web 2.0 ihre Rolle als exklusive Gatekeeper an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit verloren. Jeder Forscher, jedes Institut kann sich mittels Blog, E-Mail, Facebook oder Twitter an jede von ihm angepeilte Zielgruppe wenden, Wissenschaftsinstitutionen schaffen das sogar professionell. Bei großen Wissenschaftsereignissen (siehe Ebola) kümmern sich mehr und mehr die politischen Journalisten um die Berichterstattung (irgendjemand muss es ja tun, wenn es keinen Wissenschaftsspezialisten mehr gibt).

Die Folge der Situation: Die Wissenschaftsjournalisten kämpfen, zum Teil sogar ums Überleben, suchen neue Jobs, zum Teil auch in der Wissenschaftskommunikation (was diese professionell stärkt und die Situation der verbliebenen Journalisten verschlechtert).

In Potsdam jedenfalls zeigte sich, wie sehr die Journalisten unter Druck sind. Es ist zweifellos auch richtig, wenn sich die Wissenschaftskommunikation um die Nöte einer ihrer wichtigen Zielgruppen kümmert (auch wenn die Kommunikatoren früher, vor der Krise, von den Wissenschaftsjournalisten meist gar nicht akzeptiert und respektiert wurden). Obwohl die Wissenschaftsjournalisten auf der kurz vorher beendeten „Wissenswerte“ ausreichend Gelegenheit zu Klage und Diskussion hatten. Es war auch interessant und vor allem unterhaltsam, die Diskussionen zu erleben, aber geändert hat sich am Gesamtbild nichts. Und genutzt haben diese Diskussionen den Teilnehmern eigentlich auch nichts, es sei denn, sie hätten vorher von den Problemen der Wissenschaftsjournalisten noch nichts gehört. Aber gleich drei Diskussionen?

Tagen zwischen Wissenschaft und Herbst in Brandenburg: Blick in das Forum von Außen.

Tagen zwischen Wissenschaft und Herbst in Brandenburg: Blick in das Forum von Außen.

Akteure und Rollen versprach WiD im Konferenzprogramm, aber die wichtgsten Akteure waren leider überhaupt nicht vertreten. Zum Beispiel die Journalisten, die schon heute den größeren Teil der Wissenschaftsberichterstattung in den Medien bewältigen: die Nachrichtenjournalisten, Lokal-, Regional- und Vermischtes-Redakteure, ja auch Sportredakteure (Doping!). Auch wenn das kein Wissenschaftler glauben mag, Wisenschaftsjournalisten produzieren tatsächlich den geringeren Teil der Wissenschaftsberichte in den Medien. Oder die NGOs, die Nichtregierungsorganisationen, wie sie offiziell heißen, also Interessenverbände, Bürgerorganisationen, Verbraucher- und Umweltorganisationen – wichtige Ansprechpartner, wenn die Wissenschaft mit gesellschaftlichen Perspektiven in einen Dialog eintreten will.

Und:…. Es fehlten die wichtigsten Akteure der Wissenschaftskommunikation – die Wissenschaftler. Zwar sprachen und diskutierten ein paar Kommunikations- und Sozialwissenschaftler, ja sogar ein Psychologe, der auf geschickte Weise Wissenschaftskommunikation in seinen Lehrplan eingebaut hat (davon mehr in einem eigenen Blogpost), aber die Wissenschaftler, für die Wissenschaftskommunikatoren normalerweise kommunizieren? – Fehlanzeige. So schwebte Wissenschaftskommunikation auch bei diesem Forum wieder einmal im freien Raum, die Erdung zu Ziel und Zweck der ganzen Branche und zu den Auftraggebern fand nicht statt. Dabei hatten sich Wissenschaftler in diesem Jahr ja prononciert zur Wissenschaftskommunikation geäußert, etwa die Wissenschaftsakademien. Hier hätten sie Gelegenheit gehabt, direkt mit den Kommunikationsprofis zu sprechen. Doch Fehlanzeige.

Jetzt aber zum Positiven: Eröffnet wurde das Forum durch einen Politiker, zum ersten Mal (verwunderlich angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung guter Wissenschaftskommunikation). Und obwohl es „nur“ zum Parlamentarischen Staatssekretär gereicht hat (für Journalisten normalerweise: „Ende der Berichterstattung“) fiel er auf durch eine hervorragend vorbereitete, anregende und wegweisende Rede zur Situation der Wissenschaftskommunikation. Wenn Stefan Müller tatsächlich hinter seinen Worten steht (und nicht nur den Text einen guten Referenten verlesen hat – aber es wirkte keineswegs so, sondern glaubwürdig), dann kann er zu einem großen Förderer des für die Wissenschaft in Deutschland überlebenswichtigen Felds Wissenschaftskommunikation werden (mehr dazu in meinem Thesenpapier „Kommunikation tut Not“).

Stefan Müller geißelte das geringe Interesse der Wissenschaftler für die Kommunikation, er stellte die zukunftsorientierte Bedeutung des Dialogs von Wissenschaft und Gesellschaft heraus, er nannte klar die Defizite und die Aktionsfelder. Und setzt sogar vier Prioritäten, was in der Wissenschaftskommunikation zuerst angegangen werden sollte. Ermutigend, denn so eine Rede von einem Politiker zeigt eingehende Beschäftigung und hohe Anerkennung für die Wissenschaftskommunikation.

Das zweite Highlight des Forums Wissenschaftskommunikation in Potsdam lag ebenfalls auf der Metaebene der Kommunikationspraxis: Der in Stuttgart geborene amerikanische Soziologe Prof. Dietmar Scheufele – engagiert, dynamisch, offen, „mit einem charmanten amerikanischen Akzent“ (Prof. Annette Leßmöllmann), der voller Wissen steckt und es gern mit anderen teilt (wobei er manchmal zu schnell spricht und/oder die Hände mit dem Mikrofon nicht stillhalten kann). Er bereicherte die Tagung durch seine Fakten (etwa die oben ziterten Zahlen zum Sterben der Wissenschaftsredaktionen in amerikanischen Zeitungen) und durch eine spannende These: „Die traditionellen Medien sterben aus, das Publizieren verändert sich.“ Aber: Nachrichten im Internet werden von den Lesern nicht nur kostenlos erwartet, sondern auch ganz anders aufgenommen, als in einer Zeitung oder Zeitschrift. Damit ist der Kontrollverlust total: Nicht der Wissenschaftler hat noch Einfluss, nicht der Journalist, wie eine Nachricht ankommt, sondern die Leser, die darauf im Internet reagieren (Kontrollverlust: Dies ist wohl das Schlüsselthema für die Schwierigkeiten, die viele mit dem Medium Internet und mit der Wissenschaftskommunikation haben.)

Kontrollverlust im Internet - Scheufele zeigte ein eindrucksvolles Beispiel für das neue Publizieren.

Kontrollverlust im Internet – Scheufele zeigte ein eindrucksvolles Beispiel für das neue Publizieren.

Scheufele berichtete von einer eigenen Studie, die zeigt, was passiert, wenn eine Nachricht nicht mehr isoliert in einer Zeitschrift steht, sondern „im sozialen Kontext“ im Internet, mit Leserkommentaren, Likes, Retweets, Favorisierungen oder wie die Rückkopplungen in den verschiedenen Social-Media-Kanälen alle heißen. Er verschickte einen professionell geschriebenen Artikel über „Nanosilber“ elektronisch an 300.000 Empfänger, wobei die eine Hälfte den Beitrag mit sehr derben, negativen Kommentaren zu sehen bekam, wie sie im Internet durchaus üblich sind, die andere Hälfte erhielt Kommentare, die das gleiche aussagten, aber höflich formuliert waren. Es zeigte sich, dass die Leser den Artikel als „einseitig“ beurteilten und die Technik als riskant einschätzten, wenn derbe Kommentare dabei standen, signifikant mehr als die Leser mit den höflichen Kommentaren. Das soziale Umfeld im Internet bestimmt also deutlich die Wahrnehmung eines Themas. Auch darauf muss sich Wissenschaftskommunikation einstellen, wenn sie mehr und mehr auf soziale Medien und Internet setzt.

Science of Science Communication - kleines Panel in Deutschland; ein Beginn?

Science of Science Communication – kleines Panel in Deutschland; ein Beginn?

Mein Fazit: Das Forum Wissenschafrtskommunikation ist zu einem ernsthaften Kongress der Wissenschaftskommunikation geworden. Die Themen der Vorträge und Sitzungen behandeln zum großen Teil Problemfelder der Kommunikationspraxis, gepaart mit dem notwendigen theoretischen Überbau (siehe oben). Die Best-Practice-Beispiele, die früher oft im Mittelpunkt standen, sind noch vorhanden, aber doch ein wenig zurückgetreten und thematisch gut gegliedert worden (z. B. Schule, Jubiläen, Ausstellungen, Agenturen). Es werden Perspektiven und Trends aufgezeigt und versucht, Handreichungen dafür zu geben, die jeder Forschungssprecher dann in die eigene Praxis mit einbeziehen kann.

Da ist viel am Programm gearbeitet worden. Dann schadet es auch nichts, wenn zu einem Thema erst einmal nur Hilfslosigkeit vermittelt werden kann – wir sind eben noch nicht so weit: So geschehen beim Thema Dialogische Formate, die für die Zukunft der Wissenschaftskommunikation enorm wichtig sein werden. Dietram Scheufele hatte am Eröffnungstag drastisch formuliert, wie wichtig es sein wird, Wege für echte Dialoge zu finden und sie ernst zu nehmen: „Wenn ich nicht bereit bin, als Konsequenz der gesellschaftichen Meinungsbildung in schlimmster Konsequenz mein Labor zuzumachen – etwa weil die Gesellschaft meine Arbeiten nicht akzeptieren kann – dann darf ich diesen Prozess nicht Dialog nennen.“

In der Sitzung zu den Dialogischen Formaten wurden dann aber nur Beispiele geboten, wo bereits „Likes“ und „Retweets“ als dialogische Elemente zu finden waren – Dialog mit Daumen hoch? Und auch die anschließende Diskussion brachte kaum weiterführende Antworten. Fazit: Hier steht die Wissenschaftskommunikation noch ganz am Anfang (sicher aber nicht nur die Wissenschaftskommunikation), hier ist die „Science of Science Communication“ gefordert, die sich hier in Deutschland sonst eher mit Umfragen schmückt, wie gern Wissenschaftler mit Wissenschaftsjournalisten reden. Hier muss aber auch das 8. Forum Wissenschaftskommunikation weiterbohren, auch das 9. und folgende. Denn die Entwicklung der Gesellschaft zu mehr und mehr Transparenz und Partizipation erfordert mehr und mehr Dialog, nicht nur belehren und erklären der eigenen Arbeit, sondern vor allem auch ein Zuhören der Wissenschaft – und Konsequenzen daraus ziehen.

Auffällig: Durch viele Diskussionen zog sich immer wieder das Problem des Desinteresses der Wissenschaftler an der Wissenschaftskommunikation. Bestätigt durch ein unglaubliche Zahl, die DFG-Direktorin Dr. Jutta Rateike verriet: Obwohl die DFG eigens die Möglichkeit geschaffen hat, in einem Zusatzmodul zusätzliches Geld für die Kommunikation der Forschungsprojekte zu beantragen, machen nur etwa ein Prozent der Anträge davon Gebrauch (und werden fast nie abgelehnt). Ein Prozent! Dazu habe ich ja bereits Erlebtes berichtet. Dieses Problem drängt sich mehr und mehr in den Vordergrund, was zunächst einmal unverständlich erscheint: „Hey Wissenschaftler, wir wollen für euch professionell kommunizieren“ – und sie interessieren sich überhaupt nicht dafür. Für mich werden dadurch zwei Entwicklungen deutlich. Einmal das gewachsene Selbstverständnis der Wissenschaftskommunikatoren: Sie haben erkannt, dass sie nicht nur Erfüllungsgehilfen der Forscher sind, sondern etwas Wichtiges für die Wissenschaft leisten vermögen und fordern nun ein, dies auch tun zu können. Und zum zweiten – ein ganz grundsätzliches Problem: Das mangelnde gesellschaftliche Bewußtsein in der Wissenschaft.

Mit Verlaub: Das ist nicht neu, es zieht sich eigentlich durch die deutsche Wissenschaftsgeschichte, dass Wissenschaftler immer nur dann mit Nicht-Wissenschaftlern kommunizierten, wenn es um die Förderung oder um die Anerkennung ihrer Arbeiten ging. Als die Welt dann demokratisch wurde, haben sie dafür sogar den Elfenbeinturm eingerissen. Aber ging die Öffnung der Wissenschaft zur Gesellschaft tatsächlich sehr viel weiter? Leben die Professoren etwa schon wieder in einem „Elfenbeinturm 2.0“? Es ist eine große Aufgabe, daran etwas zu ändern. Daran müssen Wissenschaftskommunikatoren, Politiker, Bürger und aufgeklärte Wissenschaftler (die es ja durchaus gibt) arbeiten. Aber es ist notwendig, wenn die Wissenschaft nicht die Privilegien verlieren will, die sie in unserer Gesellschaft hat, und die sie braucht, um ihrerseits wiederum Positives für die Gesellschaft leisten zu können.

Nachtrag: Wer mehr zur Tagung lesen möchte, bei Wissenschaft im Dialog gibt es einen Liveblog zum Forum Wissenschaftskommunikation von Philipp Schrögel.