„Chief Communication Officer“: Revolution oder Etikettenschwindel? – Treffpunkt Wissenschaftskommunikation #WisskomMUC

Posted on 19. Juli 2022

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Julia Wandt, erste Kommunikatorin in einer deutschen Universitätsleitung berichtete von ihren Erfahrungen.

Es sah aus wie nach einem Brainstorming. Hier wurde anscheinend geplant, sich einen großen Traum zu verwirklichen: Hinter Julia Wandt waren die farbigen Kartons wohlgeordnet unter Rubriken wie „Vision“ oder „Organisation“, und über allem, auch per Zoom-Konferenz deutlich zu lesen, das Projekt: „Traum“.

Und tatsächlich, die in Kollegenkreisen hoch geschätzte Kommunikatorin, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation, hat in den letzten Monaten einen großen Traum verwirklicht, nicht nur für sich selbst, sondern den Traum von vielen Kollegen: Wissenschaftskommunikation auf Augenhöhe mit den Wissenschaftlern in der Leitung einer großen Universität, gleichberechtigt und als wesentlicher Teil verantwortlich auch für die Strategie ihrer Institution. Seit knapp eineinhalb Jahren ist sie Mitglied der Universitätsleitung der Universität Freiburg, zuständig für den Geschäftsbereich Wissenschaftskommunikation und Strategie.

Beim jüngsten „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ berichtete Julia Wandt von ihren Erfahrungen, ergänzt durch die Präsidentin der TU Braunschweig, Prof. Angela Ittel, die schilderte, welche Erwartungen eine Hochschule mit dieser hierarchischen Aufwertung der Wissenschaftskommunikation verbindet. Und beide stellten sich der Diskussion mit den Kollegen, die äußerst kontrovers, aber deshalb vielleicht auch klärend verlief. Worte von „Revolution“ machten ebenso die Runde wie der Vorwurf „Etikettenschwindel“, weil dies tatsächlich keine zusätzlichen Einflussmöglichkeiten bringe.

Auf der Teilnehmerliste auch die vier übrigen „Chief Communication Officers“ (Entschuldigung: eine „Vizepräsidentin“) an deutschen Hochschulen. Eine Kollegin verfolgte den „Treffpunkt“ sogar während der Zugfahrt in den Urlaub. Doch die Mehrzahl von ihnen hielt sich in der Diskussion deutlich zurück. Die Anregung zu diesem „Treffpunkt“ stammte übrigens von einer von ihnen, von Elisabeth Hoffmann, CCO an der Universität Köln.

Prof. Angela Ittel, Präsidentin der TU Braunschweig, schilderte die Erwartungen der Hochschulen an die „Chief Communication Officer“.

Mit im online-Zuhörerkreis war auch ein Urgestein der Hochschulkommunikation: Dietmar Schmidt, vor 54 Jahren als erster hauptamtlicher Pressereferent einer bayerischen Hochschule etabliert und Mitbegründer des „Arbeitskreises der Hochschulpressereferenten“, des heutigen Bundesverbands Hochschulkommunikation. Gastgeber für diesen lebhaften „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ war das Max-Planck-Institut für Physik, dessen Pressesprecherin Barbara Wankerl auch die Diskussion moderierte.

Doch der Reihe nach: Julia Wandt verantwortet im Rektorat der Universität Freiburg den Geschäftsbereich Wissenschaftskommunikation und Strategie und steht damit gleichberechtigt neben den Prorektoren, etwa für Forschung oder für Studium und Lehre. Sie betonte, dass es eigentlich nicht neu sei, dass Hochschulen diese Stelle in der Leitung haben. Es gibt einige Universitäten mit Vizepräsidenten oder Prorektoren für Kommunikation, doch das ist dort eher ein professorales Amt, eben mit Hochschullehrern besetzt. Neu sei vielmehr, dass diese Position, in Freiburg wie an den vier anderen Hochschulen (TU Darmstadt, TU Dresden, Universität Köln, TU München), mit einer Person aus der Praxis besetzt wurde. Hier will die Universitätsleitung unmittelbar von der Erfahrung praktischer Kommunikation profitieren, hier wird auf fachliche Kompetenz gesetzt, meinte Julia Wandt: „In der Kommunikation muss man aus diesem Fach kommen, aus dieser Erfahrung, um diese Funktion kompetent wahrzunehmen.“

Ein zweiter wichtiger Punkt ist für sie die Verbindung von Kommunikation und Strategie. Zu ihrem Geschäftsbereich gehören vier Abteilungen, neben der Kommunikation, die Betreuung der Alumni und anderer Außenbeziehungen, das Hochschulmarketing (getrennt von der Kommunikation!) und die Strategieentwicklung. Ein logischer Schritt aus ihrer Sicht, denn bei allen Strategieentscheidungen einer Hochschule ist die Kommunikation ein wesentlicher Faktor. Positiv überrascht war sie von der Reaktion auf ihre Ernennung innerhalb der Universität, die natürlich zuvor in den Gremien abgestimmt war.Für viele Wissenschaftler, die oft und gern kommunizieren, habe dies Zeichen gesetzt dafür, dass Kommunikation wertgeschätzt werde. Die Kommunikation sei damit zu einem Bewertungskriterium innerhalb der Hochschule geworden, das auf Augenhöhe mit anderen Kriterien gesehen wird, wie Forschung, Lehre oder Nachhaltigkeit. Und auch von Außen gab es ein positives Echo auf den durch ihre Ernennung dokumentierten Stellenwert der Kommunikation für die Universität.

Teilnehmer am 16. „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“: Unter anderem die fünf Kommunikatoren in Universitätsleitungen und ein Urgestein der Hochschulkommunikation.

Kritik übte sie an dem Begriff Erfüllungsgehilfen: „Hochschulkommunikatoren sind keine Erfüllungsgehilfen“. Es habe in den letzten Jahren immer wieder die Verbindung von Hochschulentwicklung und Kommunikation gegeben, unabhängig von der jüngsten Aufwertung der Kommunikatoren an den fünf Universitäten: „Es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die diese Position genauso ausfüllen, ohne sie formal innezuhaben.“ Es werde auch Hochschulen geben, die diese Position gar nicht brauchen. Das müsse hochschulspezifisch entschieden werden, dabei gehe es gar nicht in erster Linie um große oder kleine Hochschule. Die Hochschulkommunikation habe viele unterschiedliche Ausprägungen, viele unterschiedliche Modelle hätten da eine Existenzberechtigung. Diese Tatsache zeige sich schon allein daran, wie unterschiedlich die Ausgestaltung der fünf bisher etablierten Positionen von „Chief Communication Officers“ sei.

„Chief Communication“ – Ein Modell auch für außeruniversitäre Forschung.

Auch die Frage, ob die hierarchische Höherstufung der Kommunikation ein empfehlenswertes Modell für Außeruniversitäre Forschungsinstitutionen sei, sah sie positiv. Bei Unternehmen sei die Ansiedlung der Kommunikation in der Leitungsebene selbstverständlich, sie könne sich das auch für Forschungsinstitutionen außerhalb der Universitäten vorstellen. Und schränkte zugleich ein, dass in Forschungsorganisationen mit vielen Instituten dies wohl nicht für die dezentralen Institute, wohl aber für die Zentralen gelte. Es funktioniere überall da, wo die oberste Leitung sich verantwortlich fühlt für die Gesamtinstitution und dokumentieren will, dass sie der Kommunikation diesen Stellenwert einräumt.

Die Präsidentin der Technischen Universität Braunschweig, Prof. Angela Ittel, von Hause aus Psychologin, definierte zunächst einmal mit drei Worten die Kernaufgaben einer Universität: „Generieren von Wissen, Verwahren von Wissen und Vermitteln von Wissen.“ Der Transfer von Wissen habe in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Dies sei eine große Aufgabe, die aber in all ihren Ausprägungen, etwa außerhalb der klassischen Lehre, noch nicht vollständig in der DNA einer Universität angekommen sei. Es gelten daher, diese DNA mit Blick auf die Außenkommunikation zu verändern. Wer daran arbeitet, müsse aber Prokura bekommen, denn es sei für Innen und Außen etwas anderes, ob man vom Präsidium aus spreche oder von einer untergeordneten Pressestelle.

Kommunikation möglichst eng in die Strategieentwicklung der Hochschule einbinden.

An der TU Braunschweig will sie, da ohnehin eine Neubesetzung der Kommunikationsleitung anstand, diese Position direkt an das Präsidium binden. Das sei etwas Revolutionäres. Kommunikation müsse von Anfang an in Strategieentscheidungen der Hochschule eingebunden sein – nicht als Auftrag des Präsidiums, sondern mit der Möglichkeit, aus eigener Sicht Impulse zu setzen. Die TU Braunschweig suche daher derzeit einen Chief Communication Officer, allerdings ohne Stimmrecht im Präsidium. Dem Einwand, dass die Kommunikationschefin ohnehin schon immer ohne Stimmrecht in den Präsidiumssitzungen dabei gewesen sei, hielt sie entgegen, es sei entscheidend, mit welchem Auftrag: „Um mitzuhören oder um mitzugestalten.“

Es geht nach Ansicht von Prof. Ittel darum, fachliches Wissen und Erfahrung in die Kommunikation mit einzubringen. Bislang zeichneten sich die Universitäten nicht unbedingt als Experten für Kommunikation mit der Gesellschaft aus. Folge davon sei, dass in der Gesellschaft oft nicht verstanden werde, was Universitäten tatsächlich machen. Es sei aber notwendig, einfach, klar und deutlich die strategischen Ziele einer Hochschule in die Gesellschaft hinein zu kommunizieren. Und sie appellierte an alle: Wir müssen uns dazu befähigen und wir müssen auch wollen, dies zu tun. Dafür benötige man das Fachwissen der Kommunikatoren und deshalb wolle sie die Kommunikation in Braunschweig eng an das Präsidium binden.

In der Diskussion startete Prof.Markus Lehmkuhl (KIT Karlsruhe) gleich mit einer entscheidenden Frage: Wenn Kommunikation an der Universität Führungsaufgabe ist, warum bekommt der/die Verantwortliche dann im Präsidium kein Stimmrecht? TU-Präsidentin Prof. Ittel zeigte sich machtlos: „Ich möchte ja, daß der/die Kommunikationsverantwortliche nicht nur das Gras wachsen hört, sondern dass er/sie das Wachsen mitgestaltet, also die Strategie der Hochschule mitgestaltet.“ Das Problem aus ihrer Sicht: Positionen im Präsidium, die Stimmrecht besitzen, können nicht von der Hochschulleitung ernannt, sondern müssen gewählt werden.

Das Stimmrecht macht den Unterschied.

Julia Wandt unterstützte sie, sie habe in Freiburg im Rektorat noch keine Kampfabstimmung erlebt und ergänzte später: Ob man in der Universitätsleitung Einfluss hat, habe erst einmal mit einer starken Persönlichkeit zu tun, weniger mit dem Stimmrecht. Die herausgehobene Position in der Universitätsleitung mache deutlich, dass dieses Feld an der Universität einen hohen Stellenwert hat. Es komme dann aber auch darauf an, diese Position zu nutzen, um das Primat der Kommunikation auch nach Außen deutlich zu machen, etwa indem die Institution Wissenschaftler unterstützt, die wegen ihrer Kommunikation angegriffen werden.

Eine eher enttäuschte Bilanz des aktuellen Höhenflugs zog dagegen die Pressesprecherin der Universität Jena. Die Kommunikationsverantwortlichen säßen in vielen Hochschulen bei den Sitzungen des Präsidums bzw. des Rektorats mit am Tisch, hätten je nach persönlicher Stärke mehr oder weniger Einfluss. Ob die Verantwortlichen mit wohlklingenden Titeln wie „Chief Communication Officer“ tatsächlich mitgestalten könnten, das erinnere sie eher an Etikettenschwindel: „Für mich ist die Revolution bisher nur in Freiburg vollzogen.“

Mein Fazit: Bezeichnungen, Titel und hierarchische Stellung sind weit mehr als Schall und Rauch. Wenn Hochschulen Kommunikation als wichtige Funktion in ihrem Präsidium ausweisen, dann zeigen sie damit nach Innen wie nach Außen, dass diese Funktion für die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft ein ganz wesentliches Element ist. Wenn sie diese Position auch noch mit Praktikern anstatt Professoren-Kollegen besetzen, haben sie die Chance, dieses Leuchtsignal auch mit Leben zu erfüllen. Aber es ist zu kurz gesprungen, wenn es dem Wohlwollen des Leitungsgremiums oder der Persönlichkeitsstärke des Kommunikators überlassen bleibt, wieviel Einfluß der Kommunikations-Profi tatsächlich auf Strategie und Verhalten der Hochschule bekommt. Dazu gehört – schon als Ausgangspunkt in der Stellenbeschreibung – dass der Kommunikator auch vollwertiges Mitglied dieser Gremien ist, also stimmberechtigt.

Und noch etwas: Kommunikation ist ein wesentliches Element jeder Strategie, sowohl in der Durchsetzung nach Innen, wie auch in der Darstellung nach Außen, vor allem aber auch bei der Berücksichtigung aller Gesichtspunkte und Stakeholder in ihrer Entwicklung. Der Freiburger Schritt, beides in eine Hand zu legen, ist daher nur folgerichtig. Die anderen „Chief“-Positionen scheinen von Strategieentwicklung unberührt zu sein. Die kommende Exzellenzstrategie wird zeigen, ob die Freiburger von diesem Schritt profitieren können.


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