Ein Clash der Kulturen – Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ #WisskomMUC

Posted on 13. Juni 2018

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Blogautor Wissenschaft kommuniziert

Zwei Welten – doch ähnliche Problemstellungen: Wissenschaftskommunikation und Unternehmenskommunikation im „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ #WisskomMUC.

Es könnte so einfach sein: Wissenschaftskommunikation versucht, Wissenschaft, bzw. ein Institut unter die Leute zu bringen, Unternehmenskommunikation versucht, die Sichtweise eines Unternehmens nach Außen darzustellen. Es könnte … Denn auch die Ziele sind im Grunde sehr ähnlich: Wissenschaftskommunikation will Verständnis für die Forschung wecken, eine Institution für neue Mitarbeiter attraktiv machen, das Vertrauen der eigenen Beschäftigten stärken und letztendlich den Fluss der Forschungsgelder am Laufen halten. Bei der Unternehmenskommunikation sieht es ganz ähnlich aus: Statt Forschung generell, ist es das Geschäftsmodell des Unternehmens mit Therapie- und Behandlungsfeldern (ergänzt), statt Forschungsgeldern ist es der Umsatz.

Dr. Stefanie Seltmann, Unternehmenssprecherin Pfizer Deutschland – Erfahrungen in beiden Kulturen.

Doch so einfach ist es nicht. Das zeigte beim jüngsten „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation München“ #WisskomMUC eine Frau, die es wissen muss: Dr. Stefanie Seltmann, langjährige Kommunikationschefin des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg, die vor über einem Jahr in die Unternehmenskommunikation gewechselt ist, als Unternehmenssprecherin zum Pharmakonzern Pfizer Deutschland. – Ausgerechnet Pharma! Dieser Industriezweig, der nicht nur heftig mit seiner eigenen Reputation zu kämpfen hat, der außerdem auch noch derart reguliert ist in seinen Äußerungen gegenüber der Öffentlichkeit, durch Werbeverbote und Gebote.

Der Treffpunkt Wissenschaftskommunikation München“ #WisskomMUC.

Als Stefanie Seltmann ihre ersten Erfahrungen schilderte, da konnte man fast Mitleid bekommen: Einfach eine Pressemitteilung schreiben und herausgeben? Mindestens drei Wochen Vorlauf, denn neben den Medizinern müssen das Marketing draufschauen und die Juristen. 20 Jahre Viagra? Produktnamen sind in der Öffentlichkeitsarbeit absolut tabu, es bleibt vom Jubiläum des wohl bekanntesten Medikaments des Hauses nur ein Tweet zur „blauen Pille“. Oder gar Journalisten mit Wissenschaftlern des Hauses direkt in Kontakt bringen? Intensive Vorarbeit geht dem voraus, vom Medientraining des Mitarbeiters bis hin zu Dossiers über die eingeladenen Journalisten und lange Besprechungen, was sie wohl fragen könnten. Nichts wird dem Zufall überlassen.

Skala der Glaubwürdigkeit: Der Freund „Wie Du und ich“ ganz oben, Journalisten, Unternehmenschefs und Politiker ganz unten. (Quelle: 2018 Edelman Trust Barometer)

Und hinter all dem steht das letzte der vier genannten Ziele: Umsatz. „Natürlich wird dort in die Öffentlichkeitsarbeit investiert, wo man sich einen geschäftlichen Erfolg verspricht,“ formuliert das die Pfizer-Unternehmenssprecherin Seltmann.

Du Wissenschaftskommunikation hast es da tatsächlich besser: Umkompliziert, kaum beschränkt von rechtlichen Hindernissen; frei, wichtige Wirkungen zu nennen; und fast jeden Tag eine Neuigkeit, frei zu publizieren, so viel und so oft man will. Doch dann berichtet Stefanie Seltmann von einigen spannenden Aktionen, die sie mit ihrem Team im Laufe der letzten Monate gestartet hat. Dabei geht es nicht um einzelne Medikamente, sonder vor allem um „Disease Awareness“, also Bewusstsein schaffen für bestimmte Krankheiten und Gesundheitsgefahren. Und vorweg: Alle diese Kampagnen laufen vor allem im Internet, sei es bei den Social Media oder auf eigenen Web-Plattformen. Hier sollen Betroffene und deren Umfeld abgeholt werden, hier sollen sich die Botschaften viral verbreiten. Printmedien sind vor allem der Fachinformation vorbehalten, die sich direkt und exklusiv an die Ärzte richtet.

Unternehmenssprecherin Seltmann und Forschungssprecherin Beck im Gespräch. Im Hintergrund Arnd Prilipp (Servier Deutschland).

Einen ganzen Strauß von guten Ideen blätterte Dr. Seltmann dann auf, angefangen von einer Zeckenvorsorge-Kampagne für Freizeitkicker – gut getimt zur Fußballweltmeisterschaft. Parallel hatte das Robert-Koch-Institut neue Risikogebiete für die Zeckenkrankheit FSME ausgerufen. Oder die „High-Five“-Kampagne auf Instagramm zugunsten von Patienten seltener Erkrankungen. Pfizer versprach, für jedes gepostete Foto mit High-Five und dem entsprechenden Hashtag fünf Euro für Patienten seltener Erkrankungen zu spenden. Das schafft Aufmerksamkeit für diese Krankheiten und Solidarität für die Patienten.

Oder die Puppe „Meningo“, ein etwas seltsam aussehendes Plüschtier. Das bei der 12-jährigen Youtuberin Lena auffällig auf der Couch in ihren Videos sitzt. Erst wenn einer ihrer über 100.000 Abonnenten danach fragt, erzählt die Jung-Prominente was es mit „Meningo“ auf sich hat, mit Meningokokken-Enzephalitis, der man vorsorgen kann.

Doch nicht alle Kampagnen sind letztendlich am Umsatz orientiert: Auf der Debatten-Website „Land der Gesundheit“ präsentiert sich Pfizer als „guter Health-Citizen“. Hier wird gesundheitspolitisch und technisch debattiert über Themen, wie Digitalisierung in der Medizin oder über das deutsche Gesundheitssystem im Allgemeinen. Mit dabei: Auch Pfizer-Mitarbeiter beziehen Stellung.

Austausch, Networking, Dabeisein: Get-Together beim „Treffpunkt“ im Max-Planck-Café mit Blick auf den Münchner Marstall.

Das Thema des Abends hieß eigentlich, „Was kann Wissenschaftskommunkation von Unternehmenskommunikation lernen?“. Dr. Seltmann machte daraus, „Was unterscheidet Unternehmenskommunikation bei Pfizer von Wissenschaftskommunikation?“ Mag sein, dass nach den Schilderungen die Mehrheit der Teilnehmer doch lieber bei der Wissenschaftskommunikation bleibt. Es war ein Clash der Kulturen von Öffentlichkeitsarbeit in Wissenschaft und Unternehmen, den man hier miterleben konnte. Doch wer genauer über den Vortrag von Dr. Seltmann nachdachte, konnte sehr wohl auch Lehren für eine professionelle Wissenschaftskommunikation daraus ziehen. Oft erwähnte sie diese Hintergründe nur am Rande, die letztendlich aber die Kommunikation eines Unternehmens so erfolgreich machen. Ich will hier nur vier Punkte herausgreifen:

  1. Priorität für das Profil: In der Industrie heißt Profil zum Beispiel Marktführerschaft. Pfizer ist eindeutiger Marktführer bei FSME-Impfstoffen. Und daher konzentriert sich die Kommunikation ganz auf diese Stärke. Werbung darf der Pharmahersteller dafür nicht machen, aber er kann dafür sorgen, dass sich mehr Menschen des Risikos bewusst werden, kann neue Zielgruppen ansprechen, etwa Hobbyfussballer, deren Ball durchaus einmal in einem Busch mit Zecken landet, oder eben junge Mädchen, die durch herkömmliche Medizinkommunikation kaum zu erreichen sind. Auch die „High-Five“-Kampagne zählt dazu, da Pfizer bei seltenen Erkrankungen ein ziemlich starkes Standbein hat. Und Sympathien für die wenigen, oft sich unverstanden fühlenden Patienten zu wecken, schafft wiederum Sympathien bei den Patienten und ihren Ärzten für den Hersteller Pfizer.
  2. Langfristige Strategien: Die einzelne Pressemitteilung ist unbedeutend. Es geht um langfristigen Einfluss auf Meinungen, um Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Befindlichkeiten der Menschen. Die gewinnt man nur, wenn man eine – natürlich bis ganz oben abgestimmte – Strategie besitzt, indem man nicht plump für sich wirbt, sondern indem man durch viele gleichgerichtete Veröffentlichungen, durch Tipps und Hilfen – eben durch Kampagnen – Themen besetzt, die eigene Kompetenz und Mitmenschlichkeit zeigt, kurzum sein Profil stärkt. Viele Zielgruppen lassen sich auch heute viel besser über das Internet erreichen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass man erst einmal entscheidet, welches Profil man selbst haben will. Alles andere fällt in der Öffentlichkeitsarbeit dann weitgehend unter den Tisch.
  3. Strukturen und Kreativität: Eigentlich sind es fest eingespielte Strukturen, die im schwierigen rechtlichen Umfeld oder auch angesichts der ungeheuren wirtschaftlichen Auswirkungen von Fehlern in der Unternehmenskommunikation (nicht nur in der Pharmaindustrie), Sicherheit geben sollen, nichts Falsches zu tun. Abstimmungsprozesse in alle Richtungen sind in Unternehmen sicher noch viel komplexer, aber auch geregelter als in der Wissenschaft. Die Kreativität, die sich beispielsweise in den originellen Kampagnen von Pfizer zeigt, kommt oft auch von außen dazu, durch externe Berater, durch Agenturen, durch Kontakte und Zusammenarbeit mit Organisationen, etwa von Betroffenen. Man muss nicht Tag für Tag nach neuen Formaten suchen: Man berät das Kommunikationsproblem mit externen Partnern und die liefern dann oft ganz unerwartete und vielversprechende Ideen. Leider gibt es dafür in der Wissenschaftskommunikation noch viel zu wenig Bereitschaft und Spielraum.
  4. Disziplin in der Kommunikation: Nicht jede News ist es wert, nach Außen getragen zu werden, nicht jeder Forscher muss sein Nature-Paper auch in einer Pressemeldung verewigt sehen. Kommunikation konzentriert sich auf Kampagnen, die wiederum dem Ziel dienen, das eigene Profil zu stärken. Das erfordert gründliche langfristige Planung, Abstimmung auf allen Ebenen, intensive interne Kommunikation, gute Konzepte und vor allem Disziplin: Was ist es wert, was wird überhaupt von der oder von den Zielgruppen wahrgenommen? Und auf welchen Wegen?

Und damit waren wir beim „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ an der Schlüsselfrage guter Kommunikation angekommen.

Der „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation München“ #WisskomMUC ist eine Initiative dieses Blogs „Wissenschaft kommuniziert“. Er soll Aktive in der Wissenschaftskommunikation zusammenführen zum Erfahrungsaustausch, zum Vernetzen, zum Diskutieren über das eigene Tun, aber auch Wissenschaftler und Wissenschaftsjournalisten. Der „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ wandert jedes Mal zu einer anderen der Münchner Wissenschaftsinstitutionen – Gelegenheit, andere Umgebungen kennenzulernen, andererseits das eigene Haus den Kollegen zu präsentieren. Gastgeber dieses „Treffpunkts“ war die Max-Planck-Gesellschaft, die einen wunderschönen Seminarraum in der Generalverwaltung zur Verfügung stellte und im Anschluss zum Get Together einen kleinen Imbiss servierte. Die Moderation des Abends hatte die Max-Planck-Kommunikationschefin Dr. Christina Beck übernommen – wie Dr. Stefanie Seltmann eine „Forschungssprecherin des Jahres“.

  • In diesem Jahr wird es noch zwei „Treffpunkt Wissenschaftskommunikation“ in München geben. Den ersten nach einer Sommerpause Mitte Oktober, bei dem der Psychologe Prof. Rainer Bromme von der Universität Münster darüber spricht, wie Vertrauen entsteht, den zweiten am 28. November mit Markus Weißkopf, dem Geschäftsführer von „Wissenschaft im Dialog“ in Berlin, der die neuesten Zahlen und Ergebnisse des „Wissenschaftsbarometers“ vorstellen wird, einer jährlichen repräsentativen Umfrage, was die Bürger über Wissenschaft denken. Sein Vortrag musste im April kurzfristig wegen Erkrankung abgesagt werden.

Dieser Beitrag wurde nach Absprache mit Pfizer Deutschland aus Fairnessgründen überarbeitet und korrigiert. Die Redaktion